Massenproteste: Was Südamerikas Studenten auf die Straße treibt
Von Tobias Käufer
Erstmals bekommt Javier Milei richtig Gegenwind von der Straße: Am Mittwoch nahmen in Buenos Aires rund 150.000 überwiegend junge Menschen an den Protesten gegen die Kürzungen der Regierung des libertär-konservativen Präsidenten im öffentlichen Bildungswesen teil.
Betroffen sind vor allem die öffentlichen Universitäten. Die sind zwar für den argentinischen Staatshaushalt teuer, weil für die Studenten weitgehend kostenlos, zählen aber grundsätzlich zu den Besseren in Lateinamerika. Nicht wenige Argentinier sind deshalb auch stolz auf ihre Unis.
Weniger Geld für Universitäten
Die neue libertär-konservative Regierung hatte zuvor auch den Universitäten die Gelder gekürzt, um das überschuldete Land aus der Finanzkrise zu führen. Nach eigenen Angaben konnte die Regierung Milei zum Ende des ersten Quartals erstmals einen Haushaltsüberschuss erzielen: „Das ist das erste Quartal seit 2008 mit einem Haushaltsüberschuss, ein Meilenstein, auf den wir alle stolz sein sollten, insbesondere angesichts des katastrophalen Erbes, das wir zu bewältigen haben“, sagte Milei am Vorabend der Demonstrationen in einer TV-Ansprache.
Dass tags drauf trotzdem so viele Menschen gegen die Kürzungen im Bildungswesen demonstrieren, habe Milei „erschüttert“, wie die konservative Tageszeitung La Nacion kommentierte. Tatsächlich ist dieser Tag eine Zäsur in der jetzt knapp halbjährigen Präsidentschaft, denn erstmals sind nicht nur die gewerkschaftlich organisierten „Berufsdemonstranten“ auf die Straße gegangen, sondern auch der Durchschnitts-Argentinier.
Die Frage ist nun, wie Milei auf diese Kritik reagiert. Selbst aus dem eigenen Lager gibt es warnende Stimmen, es mit dem Kahlschlag nicht zu übertreiben und den Konsens zu suchen. Der liberaler Wirtschaftsdenker Ricardo Lopez Murphy kritisierte Mileis radikalen Staatsabbau: „Ich sehe keine Möglichkeit ohne Präsenz des Staates liberale Prinzipien zu realisieren.“
Noch größere Proteste in Kolumbien
In Kolumbien gingen zuvor noch mehr Menschen auf die Straße. Von 250.000 bis zu 500.000 Demonstranten berichteten lokale Medien. In der Kritik: Der erste linke Präsident Gustavo Petro, der seit August 2022 regiert und mit vielen Vorschusslorbeeren auch aus Deutschland begrüßt wurde.
Doch seine Waffenstillstände und Friedensverhandlungen mit den bewaffneten Banden haben erst einmal noch mehr Kokain und gestärkte Guerillagruppen eingebracht.
Amtszeit maximal bis August 2026
Die größte Sorge der Demonstranten: Petro könne über eine per Dekret einberufene verfassungsgebende Versammlung eine erneute Kandidatur durch die Hintertür durchdrücken. Die Opposition witterte gar den Versuch eines Staatsstreiches. Das alles zeigte Wirkung. Unter dem Eindruck der Proteste stellte Petro nun klar: „Meine Amtszeit wird nicht über August 2026 hinausgehen.“
Die Zustimmungswerte (30 Prozent) sind im Keller, Petro reagiert auf die Proteste beleidigt, wirft den Demonstranten vor, von Hass getrieben zu sein. Das lässt selbst sein eigener Innenminister Luis Fernando Velasco nicht gelten und stellte ebenso wie die katholische Kirche den friedlichen und demokratischen Charakter der Proteste heraus.
Spürbare Veränderungen
In den vergangenen Jahren haben in Lateinamerika Massenproteste dieser Art mittelfristig immer zu spürbaren Veränderungen geführt. In Kolumbien und Chile brachten die Sozialproteste letztendlich die Linkspolitiker Gustavo Petro und Gabriel Boric ins Präsidentenamt, in Ecuador führten sie zum Rücktritt von Präsident Guillermo Lasso. In den Linksdiktaturen Venezuela, Nicaragua und Kuba reagierten die Regime mit brutaler Gewalt und noch mehr Repression, was einen gewaltigen Massenexodus in Richtung USA auslöste.