Pressestimmen: So schreiben Westen und Osten über Ukraine-Krise
Wer steht hinter Putin und wer nicht? Das Ost-West-Gefälle merkt man auch in den internationalen Medien zum russischen Einmarsch in die Ostukraine und den westlichen Sanktionen gegen Russland heute Mittwoch:
The Guardian (London):
"Es kommt jetzt auf die Einigkeit des Westens an. Russland verfügt über Devisenreserven und profitiert von den hohen Energiepreisen, während der Westen entscheiden muss, wie weit er inmitten einer Krise der Lebenshaltungskosten gehen will. Die Aussetzung der Zertifizierung für die Nord Stream 2-Pipeline durch Deutschland war ebenso bemerkenswert wie willkommen. Doch die erste Nord Stream-Pipeline deckt bereits zwei Drittel des deutschen Energiebedarfs. Und der italienische Ministerpräsident Mario Draghi hat erklärt, dass die EU-Sanktionen nicht den Energiesektor treffen sollten.
Derweil sind die von Großbritannien verhängten Sanktionen trotz des Getöses Boris Johnsons ausgesprochen schwach. Sie betreffen fünf Banken und drei Oligarchen, gegen die die USA schon vor Jahren vorgegangen sind - das ist kaum das versprochene harte Durchgreifen gegen die Kleptokratie und es ist schwächer als die Maßnahmen der EU."
Frankfurter Allgemeine Zeitung:
"(...) Putin sucht die Konfrontation. Ob ihn die Androhung wirtschaftlicher Sanktionen davon abschreckt, mit militärischer Gewalt die Grenzen in Europa zu revidieren, ist noch offen. In jedem Fall muss die NATO ihre Fähigkeit zu militärischer Abschreckung in Europa stärken. Dazu gehört, woran Putins Vorführung von Atomraketen aller Art erinnerte, auch die Abschreckung mit Nuklearwaffen. Die NATO verlässt sich dabei vor allem auf das Arsenal Washingtons. Die Amerikaner nimmt Putin auch deshalb ernst. Doch können die Europäer, man denke an Trump, sich nicht darauf verlassen, dass der amerikanische Atomschirm ewig über ihnen aufgespannt bleibt. Die Ukrainer, die ihre Atomraketen gegen wertlose Sicherheitsgarantien abgaben, erleben gerade, was einem dann widerfahren kann."
Neue Zürcher Zeitung (NZZ):
"Mit der bloßen Stationierung von Truppen in den abtrünnigen Gebieten hat Moskau bisher wenig gewonnen, da es diese Gebiete schon seit 2014 kontrolliert. Dass es Putin dabei belassen wird, ist wenig wahrscheinlich. Putin will aller Voraussicht nach mehr.
Deshalb wäre es falsch, wenn sich der Westen jetzt aus Rücksicht auf mögliche weitere Verhandlungen zurückhielte, um Putin nicht zu vergraulen. Er würde damit bloß nach Putins Pfeife tanzen. Vielmehr sollte der Westen sich stark, einig und bereit zu harten Sanktionen gegen das russische Unrechtsregime zeigen. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Putin hat der Ukraine das Existenzrecht abgesprochen. Er hat die wichtigste Verhandlungsbasis beerdigt. Und er ist vor den Augen der Welt in die Ukraine einmarschiert. Wenn Europa auf diese Eskalation zaudernd reagiert, verliert es seine Glaubwürdigkeit als Gegenmacht, die dem russischen Imperialismus entgegentritt. Die Folgen wären fatal."
Magyar Nemzet (regierungsnahe, Budapest):
"Das Schachspiel, dem derzeit die ganze Welt zusieht, spielt Wladimir Putin mit sicherer Hand. Dem Westen ist er stets einen Zug voraus. Für den Westen war Boris Jelzin ein guter russischer Führer - er unterschrieb, was man ihm vorlegte. (...) Damit war es unter Putin vorbei. In eineinhalb Jahrzehnten (...) schuf er ein starkes Russland. Vor acht Jahren ließ er mit der Krim(-Annexion) erahnen, dass dies nur der Anfang war. Es kann gut sein, dass die offen in den Donbass eingerückten russischen Truppen nunmehr dem Westen zu nahe gekommen sind. Doch lässt sich der Globus auch so betrachten, dass die amerikanischen Truppen in Polen oder Rumänien Moskau zu nahe gekommen sind. (...) Die Okkupation des Donbass ist zwar ein wichtiger Zug - doch ist er nur der eines Bauern auf dem Schachbrett und nicht der Angriff des Turms auf die Dame."
The Telegraph (London):
"Damit Putin begreift, dass seine Handlungen inakzeptabel sind, müssen die Sanktionen schmerzen - und doch gibt es bereits Zweifel an ihrer Wirksamkeit. Der russische Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete sie als etwas, an das Russland gewöhnt sei. Und damit hat er Recht. Deutschland hat das Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 ausgesetzt, das noch nicht in Betrieb genommen wurde, importiert aber weiterhin Energie aus Russland. Tatsache ist, dass so viele europäische Länder für einen beträchtlichen Teil ihres Energiebedarfs auf russisches Gas angewiesen sind, dass sie die Verbindungen nicht völlig kappen können. Andererseits braucht Russland die Einnahmen, um seine marode Wirtschaft zu stützen.
Im Unterhaus fragte Boris Johnson, ob Putin sich wohl darüber im Klaren sei, dass das, was er tue, für Russland eine Katastrophe sei, die es ärmer und zu einem 'Pariastaat' mache. Doch damit das stimmt, muss der Westen an einem Strang ziehen, um sicherzustellen, dass seine Reaktion dem russischen Staatschef, seinen Oligarchen und dem Staatsapparat wirklich schadet."
El País (Madrid):
"Auch die baltischen Republiken und Polen stehen auf der Liste von (Kreml-Chef Wladimir) Putin. Sein ideales Ziel ist es, die NATO-Erweiterung rückgängig zu machen, die 1990 mit der deutschen Wiedervereinigung begann. Um jemanden zu finden, der bei der Herausforderung des internationalen Rechts und der Weltordnung so weit gegangen ist, muss man bis in die 1930er Jahre zurückgehen. Dank der Wiederherstellung der militärischen Fähigkeiten missbraucht Putin die Regierung der Russischen Föderation als Instrument der Erpressung seiner Nachbarn und der internationalen Gemeinschaft. Putins zweigleisiger Krieg verdient eine sofortige und abschreckende Antwort. Die EU und ihre Partner sollten hierbei weder diplomatische Aktivitäten noch eine glaubwürdige Sanktionsregelung (die inzwischen bereits in Kraft ist) ausschließen. Auf dem Spiel stehen nicht nur die Sicherheit und die territoriale Integrität der Ukraine, sondern auch die Wahrung von Frieden, Stabilität und Demokratie auf dem europäischen Kontinent."
de Volkskrant (Amsterdam):
"Offensichtlich hat Putin die Schlussfolgerung gezogen, dass der Westen so schwach ist, dass er seinen alten Traum - die Ukraine wieder unter russische Kontrolle zu bringen - verwirklichen kann. Das liegt vor allem an der Erfahrung, dass der Westen immer wieder zur 'Normalisierung' der Beziehungen zurückkehrt. Selbst nach der Annexion der Krim und dem Abschuss von Flug MH17 blieb russisches Gas in Deutschland willkommen, ähnlich wie russisches Schwarzgeld in London und Amsterdam."
Chicago Tribune (USA)
"Letztlich wird es der Würgegriff der Sanktionen gegen die russische Wirtschaft, den Kreml und Putin selbst sein, der die besten Chancen hat, den russischen Staatschef zum Nachgeben zu bewegen. Bis jetzt hat Diplomatie nicht funktioniert. Sie kann immer noch funktionieren, aber nur dann, wenn die durch die Sanktionen auferlegten Schäden den Westen mit dem nötigen Druck ausrüsten, um eine Einigung zu erzielen, die weder die Grundsätze noch das Territorium des Westens gefährdet.
Damit diese Sanktionen wirken, müssen die USA und ihre Verbündeten vereint bleiben - ganz gleich, wie sehr diese Sanktionen die westlichen Volkswirtschaften belasten. Und wenn Putin Vergeltung übt, kann das große wirtschaftliche Probleme mit sich bringen, selbst über die bekannte Abhängigkeit Europas von russischem Gas hinaus. (...)
Umso mehr muss der Rest der Welt koordiniert und entschlossen handeln. Das Ziel ist, dass diese Sanktionen Russland hart treffen. Es ist an der Zeit, Putin als das zu behandeln, was er ist - ein gefährlicher Gegner, der den Untergang der UdSSR beklagt, und ein Mann, der einen neuen Kalten Krieg führt."
De Standaard (Brüssel):
"Die Machthaber in Moskau sind offenbar bereit, die mit ihrem rücksichtslosen Kurs verbundenen Schmerzen mit einem Lächeln zu ertragen. Sie gehen davon aus, dass die westlichen Länder und ihre Bevölkerungen zu schwach sind, um den Preis für eine härtere Gangart gegenüber Russland zu zahlen.
Die Tatsache, dass die Inbetriebnahme der Nord Stream 2-Gaspipeline nun blockiert ist, schreckt die Russen offensichtlich nicht ab. Ex-Präsident Dmitri Medwedew höhnte bereits, Europa werde lernen müssen, mit einer weiteren Verdoppelung des bereits stark gestiegenen Gaspreises zu leben."
De Telegraaf (Brüssel):
"Die logische Folge der wütenden und rachsüchtigen Rede Putins ist der Sturz der demokratisch gewählten Regierung in Kiew - die er beschrieb als eine Bande korrupter 'Marionetten' der USA. Die Art, in der Putin meint, sich für die Rechte der ethnischen Russen in Nachbarländern einsetzen zu müssen, ruft gewisse beunruhigende Assoziationen mit der Besetzung des Sudetenlandes durch Nazi-Deutschland im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs hervor.
Der Westen reagiert nun entrüstet und verhängt Sanktionen. Aber es ist fraglich, ob der größenwahnsinnige Putin damit noch davon abgehalten werden kann, seinen Willen durchzusetzen. Unter seiner Führung ist Russland darauf aus, die europäische Sicherheitsordnung radikal zu verändern. Die östliche NATO-Flanke muss unverzüglich weiter gestärkt werden, um der akuten Bedrohung durch diesen gefährlichen Potentaten die Stirn zu bieten."
Lidove noviny (Prag):
"Die EU-Staaten haben sich einstimmig auf Sanktionen gegen Russland geeinigt. Dass sie in dieser Sache trotz ideologischer Unterschiede zusammenhalten, ist eindeutig ein Plus. Die Sanktionen sollen den russischen Präsidenten Wladimir Putin von einer weiteren Eskalation der Lage abhalten. Doch das ist - bei allem Respekt - nicht mehr als ein frommer Wunsch. Putin hat sich an solche Maßnahmen wie an eine Naturerscheinung ähnlich der Erdanziehungskraft gewöhnt. Falls sich der Kremlchef entschieden hat, die Ukraine zu neutralisieren, werden Sanktionen ihn davon nicht abbringen können. Die EU verhängt sie in erster Linie, um nicht dazustehen wie jemand, der alles mit sich machen lässt."
La Stampa (Turin):
"Deutschland hat seine Hausaufgaben gemacht und auf die Anerkennung der selbst ernannten separatistischen Republiken des Donbass durch Präsident Wladimir Putin reagiert, wie von seinen Verbündeten erwartet: Nämlich damit, die Inbetriebnahme der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 einzufrieren. Die Regierung in Berlin stoppte das behördliche Genehmigungsverfahren. (...)
Das Problem wird sich ab dem kommenden Herbst ergeben, da in Deutschland dazu begleitend die Atomkraft und ihre letzten noch aktiven Anlagen und Kohlekraftwerke aufgegeben werden. Berlin kann es sich gerade leisten, das von Altkanzler Gerhard Schröder 2014 gewollte und von Angela Merkel bis zum vergangenen Juni als 'reines Wirtschaftsprojekt' erachtete Projekt - denn ein russisches Gasmolekül sei ein russisches Gasmolekül, ob es durch die Ostsee oder die Ukraine komme - auf Stand-by zu setzen. Aber wenn sich Deutschland diese Haltung kurzfristig leisten kann, stellt sich die Frage, ob sich das Europa langfristig leisten kann."
Jyllands-Posten (Aarhus):
"Russland hat die Ukraine-Krise bis an den Rand eines großen Krieges im Herzen von Europa getrieben. Das Verhältnis des Westens zu Russland ist nun auf dem Nullpunkt. Putins Rede an die Nation und die Welt wird als außergewöhnlich ruchlos in die Geschichte eingehen. Es war wie ein eiskalter Hauch aus fernen Zeiten - schauderlich, furchtbar anzusehen. Wenn Putin darauf gesetzt hat, den Westen zu spalten, dann lag er ziemlich falsch. Nicht zuletzt die NATO ist nach vorübergehenden Krisen unter Präsident Trump wieder zusammengerückt. Aber auch die EU hat sich endlich zu einer schnellen und konsequenten Reaktion zusammengeschlossen."
Neatkariga Rita Avize (Riga):
"In jedem Satz, in jedem Wort, in jedem Tonfall war Putins Rede von einem zentralen Gedanken durchdrungen: Der Staat Ukraine ist für uns, Russland, ein gefährliches, illegales Gebilde, das es zu beseitigen gilt. (...) Nach Ansicht des Kremls ist die Frage der Abschaffung der ukrainischen Staatlichkeit nicht verhandelbar. Ob dies friedlich geschieht wie die Eingliederung der baltischen Staaten 1940, oder unter Anwendung von Gewalt, wird davon abhängen, ob die Ukraine 'die Feindseligkeiten sofort einstellt' oder 'weiterhin Blut vergießt'. Im letzteren Fall 'wird die gesamte Verantwortung ... vollständig beim auf ukrainischen Territorium regierenden Regime liegen'. Wenn das keine Kriegserklärung ist, was ist es dann?"