Partystimmung in US-Metropolen: "Endlich Schluss mit dem Hass"
Von Konrad Kramar
„Rache, Gerechtigkeit ... und Wiedergutmachung“, Hernan brüllt es mir so aufgeregt aus dem Autofenster entgegen, dass er sogar seine eigene Hupe übertönt. Die hat der weißhaarige Latino ohnehin auf Dauerfeuer geschaltet, während er die Clark Street im Stadtzentrum von Chicago mit wehenden Biden-Harris-Fahnen herunter fährt. Bei ihm zu Hause, im Norden von Chicago, da würden sie alle mit Glocken, oder zur Not mit Topf und Deckel auf den Balkonen stehen, berichtet er rasch, solange die Ampel noch rot ist. Dann rollt er hupend und winkend weiter.
Das Hupen hat sich in diesen Mittagsstunden in einen ständigen Grundton auf den Straßen von Chicago verwandelt. An jeder Kreuzung im Zentrum treffen paradierende Autos mit Fahnen zusammen, man winkt und hupt einander begeistert zu. Auch in den Schanigärten, die an diesem ungewöhnlich sonnigen und lauen Spätherbsttag dicht besetzt sind, heben viele begeistert ihre Gläser. „Endlich ist Schluss mit dem Hass und dem Aufhetzen von Amerikanern gegeneinander“, freut sich eine große Gruppe von Studenten: „Schluss, und zwar von jetzt an – und genau von hier.“
Bilder aus den US-Großstädten
Am meisten begeistert wirken auf den ersten Eindruck viele junge Frauen. Noch vor Joe Biden feiern sie vor allem Kamala Harris. „Cool“ sei die und „wirklich tough“ meinen Stacy und Dana, die in einer Pizzeria mit ihren Freunden sitzen. Schon seit der Früh wären die völlig außer Rand und Band, geben sich die zwei demonstrativ gleichgültig. „Könnte uns kaum mehr egal sein“, meint eine der beiden: „Schauen wir mal, ob sich wirklich was ändert.“
Feiern vor dem Weißem Haus
Doch genau diese Hoffnung bringt die Menschen in fast allen großen Metropolen der USA auf die Straße. Der Times Square in New York verwandelte sich spontan in eine Partyzone. Zehntausende Menschen versammelten sich und ihnen all die politischen Anliegen und Forderungen, die sie schon mit sich durch einen endlosen und feindseligen Wahlkampf getragen hatten. Da sind sie wieder die Schilder und Plakate, von „Black Lives Matter“ bis „Democracy Now“ und dazu natürlich ein Meer von Biden-Harris-Plakaten.
„Freiheit, Demokratie“
In Philadelphia erinnern sich die Partygäste auf der „Freiheitsmeile“ auch an diesem Tag nur zu gerne daran, dass hier die US-Unabhängigkeitserklärung geschrieben wurde. „Gerechtigkeit, Freiheit, Demokratie“ steht ganz im Geiste der Gründerväter der USA auf Transparenten.
In Washington ist innerhalb von Stunden die gesamte Museumsmeile – die „Smithsonian Mall“ zwischen Kapitol und Weißem Haus – besetzt. Auch vor dem Weißen Haus gibt es kein Durchkommen mehr. Alles bleibt fast demonstrativ friedlich, als wollte man dem Präsidenten keinen Grund geben, noch einmal vor der Presse über den linken gewalttätigen Mob herzuziehen.
Auch die amerikanische Flagge wird bei diesen fröhlichen Kundgebungen geschwenkt. „Denn die gehört nicht nur den Rechten“ ereifert sich ein Fahnenträger. Tatsächlich waren die Stars&Stripes in diesem Wahlkampf oft zum Banner der Trump-Fans geworden, meist nach dem Motto je größer desto besser.
Doch mit dem Wahlkampf und auch der Wahl ist es jetzt endlich vorbei: Das ist die Erleichterung, die alle begleitet, die sich in diesen Stunden auf den Straßen zum Feiern treffen. Von den Gerichtsverfahren, die Trump ja gleich dutzendweise angedroht hat halten die meisten auf Nachfrage des KURIER-Reporters nicht viel. „Trump bellt viel, aber beißen wird er diesmal nicht“, ist nur einer der vielen launigen Kommentare über den bevorstehenden Abgang des Präsidenten. Ja, und natürlich bekommt Trump postwendend von einer Demonstrantin noch einmal den berüchtigten Stehsatz umgehängt, mit dem er in der TV-Show „The Apprentice“ als Schiedsrichter Karriere machte: „Sie sind gefeuert.“