Frankreichs Bahnchef: "Meidet die Bahnhöfe!"
Von Danny Leder
Wer jemals einen französischen Bahnhof betreten hat, kennt das kurze Gebimmel und die darauf folgende, einlullende weibliche Tonband-Stimme, die immer dann erschallt, wenn die Fahrgäste über eine Verspätung oder sonstige Panne hinweggetröstet werden sollen.
Aber am Sonntag überraschte die Staatsbahn SNCF auch Radio-Hörer mit ihren Warnansagen: man solle doch nach Möglichkeit Montag bis Mittwoch alle Bahnhöfe größerer Einzugsgebiete meiden, hieß es da. Der Pariser SNCF-Regionaldirektor postete eine Videobotschaft mit Gedränge auf einem S-Bahnsteig. Kommentar: „Morgen wird’s schlimmer“.
Reserven ausgeschöpft
Die SNCF fürchtet gefährliche Panik unter den Pendlermassen im Großraum Paris, denen sie fast keine Züge mehr bieten kann. Tatsächlich beginnt am Montag eine Streikwoche, neben der die bisherigen Ausstände als harmloses Vorgeplänkel wirken dürften. Zuvor konnte die Bahndirektion höher gestellte Bedienstete, die auch über eine Ausbildung als Lokführer verfügen, als Ersatz-Lenker dank Prämien für den S-Bahnverkehr bereitstellen. Aber diese Reserven scheinen jetzt ausgeschöpft.
Wohingegen die eigentlichen Lokführer, die sich mehrheitlich am Streik gegen die Rentenreform beteiligen, nun aufs Ganze gehen wollen, weil sie überzeugt sind, dass sie ihre Kraftprobe mit der Staatsführung diesmal gewinnen werden.
Präsident Emmanuel Macron hält zwar grundsätzlich an seinem Ziel fest: die Vereinheitlichung des französischen Rentensystems, das in 42 verschiedene Kassen zersplittert ist, und namentlich die Abschaffung der günstigeren Sonder-Pensionssysteme für Eisenbahner und Bedienstete der Pariser Öffis.
Regierung uneins
Aber das Regierungslager hat auf vielfältige Weise durchblicken lassen, dass es bei der Gestaltung dieser Reform uneins ist. Am Sonntagabend leitete Macron eine kurzfristig angesetzte Krisensitzung. Für Mittwoch ist eine erste ausführliche Darstellung des Reformprojekts durch Premier Edouard Philippe geplant.
Aber genau weil bisher konkrete Aspekte dieser anspruchsvollen Reform im Dunkeln blieben, und selbst Macron mit widersprüchlichen Aussagen für Verwirrung sorgte, verlor die Regierung schon im Vorlauf die Schlacht über die Meinungshoheit, die sie jetzt nur mehr sehr schwer bis kaum zurückgewinnen kann.
Einstweilen überwiegt in der Bevölkerung Unverständnis und große Sorge bezüglich der Regierungspläne – und dass auch bei den vielen Franzosen, die ursprünglich die Notwendigkeit einer Rentenreform einsahen. Um diesen Vertrauensverlust doch noch wettzumachen, wird die Regierung voraussichtlich etliche Berufsgruppen mit besonderen finanziellen Zugeständnissen für die Rentenreform entschädigen.
Das neue Pensionssystem wird möglicherweise erst für Personen gelten, die 2025 ihre Berufstätigkeit beginnen. Ein derartiger Aufschub käme aber einer Preisgabe der Reform sehr nahe. Wobei nicht einmal sicher wäre, dass das reichen würde, um die Streikfront aufzubrechen. Alle, die Macron an den Kragen wollen, ziehen jetzt die Schlinge immer enger: Streikende in den Raffinerien behindern die Auslieferung von Treibstoff. Bald könnten Engpässe in Tankstellen auftreten. E-Werker wollen mit Stromsperren Behörden lahmlegen. Am Dienstag ist wieder ein spartenübergreifender Streik mit landesweiten Demos angesagt.
Geht das so weiter, gerät die französische Wirtschaft ins Wanken. Schon an diesem Wochenende erlitten viele Geschäfte schwere Umsatzeinbrüche. Nach den Einbußen des Vorjahrs wegen des Aufruhrs der „Gelbwesten“ würden sie eine neuerliche Behinderung der Weihnachtssaison nicht überstehen.