Putsch in Myanmar: "Ein Land im Krieg mit sich selbst"
Von Konrad Kramar
Jeder vierte Parlamentarier in Uniform, Generäle an der Spitze von Ministerien, Eisenbahnen und Kraftwerke in der Hand des Militärs: Von der Macht im Staat hatte sich die Armee in Myanmar ohnehin nie allzu weit entfernt. Jetzt aber haben die Generäle im Handstreich wieder den Staat übernommen.
Truppenaufmarsch in der Hauptstadt
In den Morgenstunden des Montag marschierten Einheiten des Militärs in der Hauptstadt Naypyitaw und in Yangon, der größten Stadt des Landes, auf, Regierungsgebäude wurden unter Kontrolle gebracht, das Internet gekappt. Die wichtigsten Politiker des Landes wurden verhaftet, darunter Staatspräsident Win Myint und die de-Facto-Regierungschefin, Aung San Suu Kyi.
Zaghafte Reformen
Die Friedensnobelpreisträgerin lenkt seit 2016 die Geschicke der ehemaligen britischen Kolonie. Nach dem Wahlsieg ihrer Partei, Nationale Liga für Demokratie (NLD), bei den Wahlen 2015, beschloss die Generalität, demokratische Reformen zuzulassen. Nach einem halben Jahrhundert Militärdiktatur wurde die Machtübernahme durch Aung San Suu Kyi weltweit begrüßt. Die Tochter jenes Generals, der das Land einst in die Unabhängigkeit geführt hatte, hatte unter der Militärherrschaft 15 Jahre im Hausarrest verbracht. Sie galt international als der Hoffnungsträger für einen Neuanfang in dem südostasiatischen Land.
Massaker an der Minderheit
Doch die Nobelpreisträgerin konnte die in sie gesetzten Erwartungen nie erfüllen. Für internationale Empörung sorgte vor allem ihr Verhalten während der Massaker an der muslimischen Minderheit der Rohingya im Südosten des Landes.
Seit Jahrzehnten werden die Rohingya diskriminiert, so verweigert man ihnen die Staatsbürgerschaft. Ab 2017 aber verschärfte das Militär seine Attacken gegen die Minderheit. Unter dem Vorwand der Bekämpfung muslimischer Terroristen wurden Hunderttausende aus ihren Dörfern vertrieben, die meisten flohen ins benachbarte Bangladesch, wo sie bis heute in Lagern hausen müssen.
In Richtung Diktatur
Als der Internationale Gerichtshof in Den Haag ein Verfahren wegen Völkermord an den Rohingya eröffnete, machte sich San Suu Kyi zur Fürsprecherin der Militärs. Diese, so erklärte sie, hätten zwar übertriebene Gewalt angewendet, von Völkermord könne aber nicht die Rede sein.
Auch sonst konnte sich die neue Staatslenkerin kaum gegen die Militärs durchsetzen. Demokratische Reformen blieben aus. „Ihr Führungsstil geht nicht in Richtung eines demokratischen Systems, sondern in Richtung einer Diktatur“ urteilt ein ehemaliger Parteifreund gegenüber der New York Times.
Wahlbetrug
Den Anlass für den jetzigen Militärputsch lieferte San Suu Kyi selbst mit den Parlamentswahlen im Herbst des Vorjahrs. Beim angeblichen Triumph ihrer Partei ging es auch nach Ansicht internationaler Beobachter nicht mit rechten Dingen zu. Die Militärführung sah sich im Recht, einzugreifen.
Der burmesische Historiker Thant Myint-U sieht darin aber keine Aussicht auf Stabilität, sondern „eine offene Tür in eine dunkle Zeit. Dieses Land ist ohnehin schon im Krieg mit sich selbst. Voll mit Waffen, Millionen, die sich nicht selbst ernähren können und tief gespalten durch Religion.“
Der UN-Sicherheitsrat wird sich am Dienstag in einer Dringlichkeitssitzung mit Myanmar befassen. US-Präsident Joe Biden rief Myanmars Armee am Montag auf, die Macht "sofort" wieder abzugeben und alle Festgenommenen freizulassen.
Er drohte zugleich neue Sanktionen an: "Die USA haben im vergangenen Jahrzehnt basierend auf dem Fortschritt hin zu Demokratie Sanktionen gegen Myanmar aufgehoben", erklärte das Weiße Haus. Die "Umkehrung dieses Fortschritts" mache eine "sofortige Überprüfung" der Sanktionsgesetze notwendig, und in einem nächsten Schritt "angemessenes Handeln".