Politik/Ausland

Ukraine: Merkel dämpft die Hoffnungen

Mit stehenden Ovationen wurde Angela Merkel am Samstag von den Hunderten Gästen der Münchner Sicherheitskonferenz begrüßt. Doch Hoffnungen, die deutsche Kanzlerin würde gute Nachrichten von den tags zuvor mit Russlands Präsident Putin geführten Verhandlungen mitbringen, dämpfte die deutsche Kanzlerin sofort: Der Erfolg der gemeinsam mit Frankreichs Präsident Hollande gestarteten Friedensinitiative für die Ukraine sei "ungewiss". Die Chancen für einen baldigen Ausweg aus der Ukraine-Krise beurteilte sie extrem zurückhaltend. Umso deutlicher wurde die Kanzlerin bei ihrer Kritik an Moskau: "Russlands Vorgehen hat die Grundlagen unseres Zusammenlebens verletzt, Moskau hat das Völkerrecht gebrochen." Für eine derartige Politik sei, so Merkel, im 21. Jahrhundert kein Platz.

Was beeindruckt Putin?

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Und während zeitgleich die pro-russischen Rebellen in der Ostukraine ihren Vormarsch vorantrieben, legte Merkel abermals fest: Der Ukraine-Konflikt könne nur am Verhandlungstisch gelöst werden, eine militärische Lösung sei undenkbar. Und auch die Lieferung von Waffen an Kiew, die bei der Konferenz in München lautstark von mehreren US-Senatoren eingefordert wurde, lehnt die Kanzlerin ab: "Ich kann mir keine Situation vorstellen, in der eine verbesserte Ausrüstung der ukrainischen Armee dazu führt, dass Präsident Putin so beeindruckt ist, dass er glaubt, militärisch zu verlieren", sagte sie. "Das ist die bittere Wahrheit."

Eine Tatsache, die der ukrainische Präsident Poroschenko so nicht hinnehmen will. Leidenschaftlich pocht er in München auf die Lieferung von Waffen. Für jeden sei schließlich sichtbar, ereiferte er sich, dass Russland Panzer und Soldaten geschickt habe. Und demonstrativ hielt Poroschenko an der Front gefundene russische Pässe in die Höhe. Außerdem weigert er sich strikt, mit den Separatisten, die er "Terroristen" nennt, zu verhandeln. Er sei aber "zu jeder Zeit bereit, eine vollständige, bedingungslose" Waffenruhe zu verkünden. Mit Spannung wird das Telefonat von Poroschenko mit Merkel, Hollande und Putin am Sonntag erwartet.

Neuer Plan in Arbeit

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Hollande deutete gegenüber France 2 die Richtung an, in die es derzeit offenbar geht: eine entmilitarisierte Zone von 50 bis 70 Kilometern entlang der aktuellen Trennlinie in der Ostukraine. Der Plan sei noch nicht ausverhandelt, betonte Hollande. Dafür beschrieb er indiskret Putins Auftreten beim Treffen am Freitag als Mischung aus Analyse, scheinbarer Sanftheit und Brutalität.

Grimmig in Ton und Miene trat der russische Außenminister Sergej Lawrow auf. In einem verbalen Rundumschlag beschuldigte er USA, NATO und EU, die Krise in der Ukraine verursacht zu haben. Hinter verschlossenen Türen zeigte sich Lawrow versöhnlicher. So kam er im Gespräch mit Außenminister Sebastian Kurz überein, dass es beide "positiv sehen, dass es die Initiative von Merkel und Hollande gibt", sagte Kurz. Auch er sieht "keinen Grund zur Euphorie, aber durchaus einen Grund zur Hoffnung, dass uns diese Initiative einen Schritt weiterbringt". In zwei, drei Tagen ließen sich die Erfolgsaussichten absehen, sagte der deutsche Außenminister Steinmeier der ARD. "Wir sind jetzt in der Tat an einer Wegscheide."

Reden, reden, reden

Verhandeln und noch mehr verhandeln bleibt also die Vorgehensweise Europas angesichts der sich täglich verschlimmernden Kämpfe in der Ostukraine. Merkel wird auch in die USA reisen, um Präsident Obama von ihren Gesprächen mit Putin zu informieren. In ihrer Weigerung, die ukrainische Armee mit Waffen zu unterstützen, ziehen beide an einem Strang. Obama aber drängt auf stärkere Wirtschaftssanktionen. Darüber wird kommende Woche auch die EU beraten. Eine Verschärfung gilt als unwahrscheinlich. Kurz: "Neben einer großen Gruppe anderer EU-Staaten steht auch Österreich weiteren Sanktionen skeptisch gegenüber."

Man muss gar nicht wissen, wie das Gespräch zwischen Wladimir Putin, Angela Merkel und Francois Hollande vergangenen Freitag in vermutlich frostiger Atmosphäre abgelaufen ist. Allein schon bei der laufenden Münchner Sicherheitskonferenz, wo russische Positionen mit aller Wucht gegen die westlichen prallten, zerschellten alle Hoffnungen, dass es in der Ukraine bald Frieden geben könnte.

Da attackiert Russlands Außenminister Sergej Lawrow die USA und die EU, als hätte der Kalte Krieg nie aufgehört. Und als Konstantin Kosatschow, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses des russischen Parlaments, bei einer Podiumsdiskussion behauptet: "Es gibt keine russischen Truppen in der Ukraine", da können sich sein polnischer und amerikanischer Gesprächspartner kaum noch zurückhalten. "Das ist doch Dreck", flucht US-Senator Lindsey Graham.

Mehr Contenance bewahrt US-Vizepäsident Joe Biden. Doch dass Russland Soldaten, Waffen und Panzer in die Ukraine schickt und damit dem militärischen Vormarsch der pro-russischen Rebellen in der Ostukraine einen neuen Schub gab, gilt in den Regierungsstuben zwischen Warschau und Washington mittlerweile als Tatsache. Eine gewaltige Militärmaschine rollt, und ohne Hilfe hätten die Rebellen sie nie in Gang setzen können. "Der Kern der Separatisten, die geschulten Kämpfer, die unterstehen direkt Herrn Putin", sagt Biden. Von möglichen Waffenlieferungen der USA an die Ukraine ist aus dem Mund von Präsident Obamas Stellvertreter nichts zu hören. Zugleich aber sagt er: "Das ukrainische Volk hat das Recht, sich selbst zu verteidigen." Die Möglichkeit, dass die USA die Ukraine also doch mit schweren Waffen beliefern könnte, steht damit weiter im Raum. Eine Option, mit der sich auch einige osteuropäische Staaten, vor allem Polen und die baltischen Länder durchaus anfreunden könnten.

Aus Sicht Deutschlands sowie der meisten anderen EU-Staaten aber hießen Waffenlieferungen sehenden Auges in eine Katastrophe zu marschieren. In einen offenen ukrainisch-russischen Krieg, der letztlich Europa mit hineinziehen könnte. Oder, wie es die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen umschreibt: "Dann müsste man potenziell unlimitiert Waffen dorthin schicken". Unmachbar, undenkbar angesichts der Atommacht Russland. Warum aber liefert Deutschland den kurdischen Peschmerga-Kämpfern im Irak Waffen? Diesen Vergleich will von der Leyen nicht gelten lassen: Dort, im Kampf der Peschmerga gegen den "Islamischen Staat", sei eine "militärische Antwort möglich". In der Ukraine aber "darf es keine militärische Lösung geben".

Und so kommen die 20 Staats-und Regierungschefs, die 60 Minister und rund 400 ehemaligen und aktiven Spitzenpolitiker,- allesamt Gäste der Münchner Sicherheitskonferenz - zur bitteren Erkenntnis: Alles Beharren auf Recht und internationale Verträge, alle Appelle, Grenzen zu wahren und Souveränität anderer Staaten zu achten, selbst Wirtschaftssanktionen, haben in Moskau bisher gar nichts bewirkt. Und die Militärmaschine, sie rollt vorerst weiter.

Es ist ein bisschen wie bei den "Oscars" – nur ohne Preisvergabe: Blitzlichtgewitter, Kameras, sich drängelnde Journalisten vor und im Luxushotel Bayerischer Hof in München. Doch hier steigen statt Filmstars viele der prominentesten Politiker der Welt aus den im Minutentakt vorfahrenden dunklen Luxuslimousinen. Mit Ausnahme der UN-Generalversammlung in New York treffen nie mehr Staats- und Regierungschefs und Minister an einem Ort zusammen als bei der Münchner Sicherheitskonferenz.

Dabei zu sein ist das Wichtigste – auch für Österreichs Außenminister Kurz und Verteidigungsminister Klug. Hier gibt es die Chance, Amtskollegen aus anderen Ländern, sogar Präsidenten, auf ein schnelles, ungezwungenes Gespräch zu treffen, Krisen zu besprechen, vielleicht sogar Lösungen zu suchen – ohne dass Ministeriumsmitarbeiter dies monatelang nach strengem Protokoll vorbereiten müssen. Im Polit-Jargon heißt das hier "politisches Speed-Dating".

Gedränge, Gewusel und aufgeregte Rufe auch im bis zum letzten Winkel belegten Luxushotel: US-Außenminister Kerry rauscht mit seiner Adjuntantenschar und Leibwächtern vorbei. US-Senator McCain empört sich einmal mehr über die Deutschen, die der Ukraine keine Waffen liefern wollen. Und ein paar Meter entfernt ärgern sich deutsche Diplomaten im gedämpften Ton über die "Unerhörtheit" des Senators. Durchgehend besorgt ist die Stimmung – die Sorge vor einer weiteren Eskalation in der Ukraine prägt hier alles.