Letzter Tag als Premier: „Was macht jetzt Boris?“
Von Georg Szalai
Bleibt er Abgeordneter? Wird er Schreiber oder Redner? Oder visiert er gar bereits eine Rückkehr in die Downing Street an, um es seinem großen Vorbild Winston Churchill gleichzutun? Willkommen beim Ratespiel: „Was macht Boris Johnson als nächstes?“, das derzeit das politische London in Atem hält.
Am Montag wird enthüllt, ob Außenministerin Liz Truss, wie Experten erwarten, oder Ex-Finanzminister Rishi Sunak die Stichwahl um die Nachfolge Johnsons als britischer Premier und Chef der konservativen Tory-Partei gewonnen hat. Am Dienstag übergibt der Populist, 58, dann das Regierungsruder.
Sommer seines Lebens
Ende Juli musste er unter Druck aus den eigenen Reihen nach diversen Skandalen das Handtuch werfen. Dann schien Boris Johnson den Sommer seines Lebens zu genießen. Einer großen Hochzeitsfeier mit Gattin Carrie folgten Urlaube in Slowenien und Griechenland. Weil Johnson bei den Themen Rekord-Inflation und Energiekrise niemandem das Rampenlicht stehlen wollte, meinte er nur, das nächste Regierungsoberhaupt habe sicher Lösungen parat.
Die Opposition wetterte, Johnson leite eine „Zombie-Regierung“. Was aber plant er nun?
Johnson hat angedeutet, sein Unterhaus-Mandat als Vertreter von Uxbridge und South Ruislip im Westen Londons behalten zu wollen. So könne er sicherstellen, dass seine Herzensthemen wie Hilfe für die Ukraine und Änderungen des Brexit-Abkommens im Fokus bleiben, sagten anonyme Quellen diversen Medien.
Böse Zungen meinen, er könne als Hinterbänkler auch Truss oder Sunak ohne Rücksicht auf Verluste unterminieren. Manche fragen sich freilich, ob er nicht lieber eine freiwillige politische Auszeit nehmen wird.
Denn laut Umfragen könnte er sein Mandat bei den nächsten Wahlen verlieren. Und Suspendierung oder gar Ausschluss drohen ihm, sollte eine Untersuchung durch einen Unterhaus-Ausschuss im Herbst finden, dass Johnson im Zusammenhang mit Partygate das Parlament belogen oder getäuscht hat.
Stattdessen könnte er sich auf das Schreiben eines Buches konzentrieren – entweder über seine Zeit als Premier oder eine geplante Biografie von William Shakespeare. Auch als Kolumnist bei Printmedien, als politischer Talk Show-Moderator oder Kommentator in Radio oder Fernsehen, sowie als Gastredner wird er gehandelt.
Hochbezahlter Redner
Offenlegungen zufolge verdiente er vor seiner Zeit als Premier zwischen September 2018 und Mai 2019 alleine mit Reden 407.000 Pfund (470.684 Euro), oder durchschnittlich 23.128 Euro pro Stunde. Inklusive 275.000 Pfund (317.950 Euro) als Telegraph-Kolumnist und anderem fuhr er in der Zeit insgesamt 712.500 Pfund (823.867 Euro) ein. Sein Jahresgehalt als Parlamentarier lag da lediglich bei 79.000 Pfund (91.348 Euro).
„Johnson kann eine Menge Geld mit lukrativen Dinner-Reden und Firmenveranstaltungen verdienen“, sagt Professor Pete Dorey, Politologe an der Universität Cardiff, dem KURIER. „Seine Bonmots, willkürliche lateinische und griechische Phrasen und kunstvoll zerzauste Haare werden dort viel Freude und Unterhaltung bereiten. Johnsons wahre Stärke ist die Rolle als Entertainer und Erzähler, nicht als ernsthafter politischer Führer“. Johnsons langjähriger Freund Jonathan Marland, der im House of Lords sitzt, glaubt, der Blondschopf werde „wahrscheinlich“ den Traum einer zweiten Amtsperiode als Premier verfolgen. „Wie er mir neulich sagte, will er sein Bankguthaben aufbauen, um sich seinen Lebensstil zu finanzieren“, zitierte ihn der Telegraph am Freitag.
Wenn Johnson dann noch im Parlament sitzt und der Ausschuss „nicht festgestellt hat, dass er sich falsch verhalten hat“, könnte sich eine zweite Chance auftun. „Das Szenario könnte sein, dass wir die nächste Wahl verlieren und nach einem Anführer suchen, der Wahlen gewinnen kann. Und das kann Boris Johnson natürlich“.