Politik/Ausland

Künstliche Befruchtung: Orbán wirft die Babymaschine an

„Sind Sie in Ungarn sozialversichert?“, fragt die Mitarbeiterin einer Budapester Kinderwunschklinik am Telefon. „Wenn ja, übernimmt der Staat die Behandlung.“ Für alle anderen kostet die In-vitro-Fertilisation (künstliche Befruchtung, IVF) weiterhin umgerechnet rund 1.500 Euro pro Versuch. Ungarinnen unter 45 Jahren hingegen können das Procedere bis zu fünfmal auf Kosten des Staates in Anspruch nehmen.

Im vergangenen Monat hat die ungarische Regierung sechs private Kinderwunschkliniken unter ihre Kontrolle gebracht. Ab 1. Februar sollen dort staatlich gefördert Babys produziert werden.

(In Österreich gibt es seit dem Jahr 2000 einen Fonds zur Finanzierung von In-vitro-Fertilisation. Er übernimmt 70 Prozent der Kosten von vier Versuchen, wenn beide Eltern eine österreichische Krankenversicherung haben, die Frau jünger als 40 und der Mann jünger als 50 Jahre alt ist.)

Diese Kliniken hätten „nationale strategische Wichtigkeit“, betonte Premierminister Viktor Orbán diese Woche vor Journalisten. „Wenn wir ungarische Kinder statt Immigranten wollen, dann ist die einzige Lösung, so viel Geld wie möglich für Familien und Kindererziehung bereitzustellen.“  Im vergangenen Februar hat Orbán sein großes Familienpaket vorgestellt, das unter anderem Steuerbefreiung und günstige Kredite für Mütter von drei oder mehr Kindern vorsieht  beziehungsweise einen Kredit für ein Familienfahrzeug mit sieben Sitzen.

Reproduktion statt Migration

„Ungarische Kinder“ will Orbán für sein Land, „christliche“ Kinder, während „westliche“ Staaten beim Erhalt ihrer Bevölkerung auf Migranten statt auf eigene Reproduktion setzten.  Aussagen wie diese hört man von dem fünffachen Vater  seit Jahren. Im September bemühte der ungarische Premier auf einem Demografie-Gipfel in Budapest gar die von der rechten „Identitären Bewegung“ geprägte Theorie des „großen Austausches“, die behauptet, dass christliche Bevölkerungen durch Migranten „ersetzt“ werden.

Neben der finanziellen Unterstützung für Vielgebärende und der kostenlosen Bereitstellung von künstlicher Befruchtung soll auch die Verringerung der Abtreibungsrate zu mehr Geburten führen. Schwangerschaftsabbrüche sind zwar nicht verboten, aber gesetzlich stark eingeschränkt und nur nach der Überwindung mehrerer bürokratischer Hürden zugänglich. Das „Recht auf Leben“ wurde 2012 in der Verfassung verankert – begleitet von einer Kampagne der Fidesz-Regierung mit dem Slogan „Lasst mich leben!“.

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1,46 Kinder hat die durchschnittliche Ungarin. (Der EU-Durchschnitt beträgt  1,58.) Für Ungarn reicht das nicht. Kritiker sind nicht überzeugt, dass die Initiativen der Orbán-Regierung zu dem nötigen Anstieg führen werden. Eine Rate von 2,1 will  das Land bis 2030 erreichen, um Ungarn vor dem massiven Schrumpfen bzw. der Überalterung zu bewahren. Denn jedes Jahr wird die Bevölkerung um gut 30.000 Menschen kleiner –  wegen  der niedrigen Geburtenrate und der Abwanderung junger Ungarn in andere (europäische) Länder.

Während Ungarn heute  9,7 Millionen Einwohner zählt, könnten es 2050 nur noch etwas mehr als acht Millionen sein, 2070  nur noch 7,5 Millionen – Ungarn ist damit eines der zehn am schnellsten schrumpfenden Länder der Welt.

Südosteuropäisches Problem

Nicht nur Ungarn kämpft mit massiven demografischen Problemen. Auch andere ost- und südeuropäische Staaten verlieren täglich junge, qualifizierte Bürger an das Ausland. Kroatiens Regierung, die dieses Problem selbst gut kennt und im ersten Halbjahr 2020 die EU-Präsidentschaft innehat, will sich auf europäischer Ebene verstärkt mit diesem Thema auseinandersetzen.