Kosovo: Bill Clinton wird als Held gefeiert
„Thank you“, steht in riesigen Buchstaben auf dem Turm des Regierungsgebäudes. Tausende Menschen sind auf den Skanderbeg Platz gekommen, sie haben US-amerikanische, albanische, aber auch deutsche und kroatische Flaggen in ihren Händen. Bedanken wollen sie sich nach 20 Jahren dafür, dass die NATO damals im Juni mit wochenlangen Bombardements für den Rückzug der serbischen Truppen und für Rückendeckung für die selbsternannte „Befreiungsarmee“ UCK sorgte.
Die Menge hier im Zentrum Prishtinas trotzt der brütenden Hitze. „USA, USA, skandieren die Menschen. Und „Clinton, Clinton, Albright, Albright“. Ein älterer Herr steht in der vordersten Reihe und hält einen Original-Zeitungsartikel von 1999 in die Höhe. Bill Clinton ist auf dem Foto zu sehen, mit seiner Frau Hillary und Tochter Chelsea. „Ein historischer Mann“ steht darüber auf Albanisch. „Freude und Dankbarkeit“, sagt der Kosovare in gebrochenem Deutsch. Das empfinde er heute. „Was Clinton getan hat, macht ihm so leicht keiner nach.“
Als Bill Clinton die Bühne betritt, ertönt lautstarker Jubel. Man erinnert sich an das Amerika von damals – unter vielen Albanern im Kosovo werden diese Politiker als große Helden verehrt.
Heute gehe es aber um die Zukunft, sagt der Ex-Präsident vor den Ehrengästen – Politikern und Entscheidungsträger von damals und heute – und den Zuschauern. Und er spielt den Ball weiter an die Kosovaren, die sich nun jahrelang auf die Hilfe der USA verlassen haben. Die „politische Chance“, die der Kosovo jetzt habe, sollte er nutzen. „Das ist nicht mein Job, das ist Eurer“,mahnt Clinton.So beeindruckend es sei dass die Menschen hier ihren Nachkommen seit 1999 eine friedliche Kindheit ermöglichten, so wichtig sei es auch, ihnen eine perspektivenreiche Zukunft aufzubauen.
„Wo ist meine Mutter?“
Dafür, dass der Kosovo jenes europäische Land mit der jüngsten Bevölkerung ist, sind heute hier überraschend viele alte Menschen am Platz. Jeder und jede von ihnen hat eine Geschichte von diesen Tagen zu erzählen.
Auch Premier Ramush Haradinaj kann sich gut erinnern. Er hatte in der Nähe seines Heimatortes Gllogjan mit der UCK gekämpft, als die NATO das Kriegsende erzwang. „Wir hatten keine Ahnung, was auf uns zukam“, erklärt der Politiker, der momentan im Kosovo hohe Zustimmung erfährt, gegenüber österreichischen Journalisten. „Da geht es erst einmal um persönliches Zeug – etwa: Wo ist meine Mutter?“ Man kümmerte sich um Grundlegendes wie ein Dach über dem Kopf. Weder Strom noch Wasser habe es gegeben, man hatte Angst vor Landminen.
Auch die bekannte Journalistin Jeta Xharra erinnert sich. Sie bringt die Meinung vieler heute hier jubelnder Menschen auf den Punkt: „Ich wäre nicht mehr am Leben, wenn die NATO damals nicht eingegriffen hätte“, sagt sie. Sie ist sicher, die Intervention „rettete mein Leben“.
Nicht alle feiern
Ganz anders sieht man das in den serbischen Gemeinden. In Gracanica nahe Prishtina, dessen Einwohner zu 92 Prozent Serben sind, wird an diesem Tag nicht gefeiert. „Die Feier ist mir egal“, sagt der stellvertretende Gemeindechef Milos Dimitrijevic: „Es ist ein Tag wie jeder andere für mich.“
Auch in Gnjilane im Osten Kosovos findet man heute keinen Grund zur Freude. „Ich bin nicht glücklich, Clinton in Prishtina zu sehen“, sagt Stefan Kovacevic, Mitglied der serbischen Minderheit, zum KURIER. Zu viele Leute seien gestorben oder vertrieben worden, als die NATO der UCK Rückendeckung gab. Das sei kein Tag der Freude für ihn. „Ich war acht Jahre alt. Aber ich kann mich an alles erinnern.“
Milos Dimitrijevic beklagt zudem vor Journalisten das mangelnde Interesse Prishtinas, auf die serbische Minderheit zuzugehen.
Von einem „Friedensabkommen“ sei man „weit entfernt“, sagt Journalistin Xharra. Den Gebietstausch, den Präsident Hashim Thaci und sein serbischer Amtskollege Aleksandar Vucic im Vorjahr ins Spiel gebracht haben, hält sie für eine schlechte Idee. „Thaci hat in der Bevölkerung nicht einmal zehn Prozent Zustimmung, und gegen Vucic gibt es Massendemos in seiner Heimat – so macht man keinen Deal!“
Die internationale Gemeinschaft hoffte auf den Dialog zwischen Prishtina und Belgrad, der im Idealfall zu einer (für beide und die internationale Gemeinschaft akzeptablen) Einigung führen soll. Doch die beiden beschuldigen einander gegenseitig, dass nichts weitergeht.
Damit liegt auch die Anerkennung des Kosovo durch Serbien und viele andere Staaten auf Eis. Es fehlen noch 79 Unterschriften. Die USA hat die Republik Kosovo 2008 unter George W. Bush anerkannt, erinnert Clinton. „Sehr große Errungenschaften sehen manchmal klein aus“, sagt Bill Clinton vor seinen dankbaren Fans in Prishtina und weist auf die geringe Größe des Kosovo hin, aber seine Wichtigkeit für die Stabilität der Region.
Die Redakteurin ist auf Einladung der Botschaft der Republik Kosovo in Prishtina.