Kriegsgefahr im Nahen Osten: Israel will "überproportional" reagieren
Angesichts der vom Iran und seinen Verbündeten seit Tagen angedrohten Vergeltungsschläge gegen Israel ist die Lage im Nahen Osten zum Zerreißen angespannt. Israel droht seinen Feinden verheerende Konsequenzen an. "Wir werden unseren Feinden, denen, die uns angreifen, denen, die in jeder Rede davon sprechen, wie sie den Staat Israel zerstören werden, eine sehr klare Botschaft senden", warnte der israelische Generalstabschef Herzi Halevi beim Besuch eines Luftwaffenstützpunkts. Medienberichten zufolge richtet sich der Fokus vor allem auf die mit dem Iran verbündete Hisbollah-Miliz im Libanon. Dort bereiten sich Krankenhäuser nach offiziellen Angaben bereits auf den Ernstfall vor.
"So, wie die Dinge stehen, könnte (Hisbollah-Chef Hassan) Nasrallah den Libanon dazu bringen, einen sehr hohen Preis zu zahlen. Sie können sich gar nicht vorstellen, was passieren könnte", sagte Israels Verteidigungsminister Joav Galant der Times of Israel zufolge bei einem Truppenbesuch. Es sehe immer mehr danach aus, dass die Hisbollah Israel in den kommenden Tagen angreifen könnte, unabhängig von den Absichten des Irans, zitierte der US-Fernsehsender CNN in der Nacht zwei mit Geheimdienstinformationen vertraute Quellen. Es sei nicht klar, ob der Iran und die Hisbollah einen möglichen Angriff koordinieren werden.
Israel zieht rote Linie
Die israelische Regierung habe dem Verbündeten USA mitgeteilt, dass das israelische Militär "überproportional" reagieren würde, sollte die Hisbollah aus Rache für die kürzliche Tötung ihres obersten militärischen Befehlshabers israelische Zivilisten angreifen, berichtete der israelische Journalist Barak Ravid beim US-Nachrichtenportal Axios unter Berufung auf zwei namentlich nicht genannte israelische Beamte. Dies sei der Versuch, eine Linie zu definieren, welches Vorgehen Israel dazu zwingen würde, den seit Monaten andauernden Konflikt mit der Hisbollah zu eskalieren und einen Krieg zu riskieren.
Seit Tagen drängen die USA zusammen mit ihren Verbündeten im Westen und im Nahen Osten den Iran und Israel dazu, die Spannungen abzubauen und einen großen Krieg in der Region zu verhindern. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte Irans neuen Präsidenten Massud Peseschkian in einem Telefonat auf, alles zur Vermeidung einer weiteren militärischen Eskalation zu tun, die auch für den Iran nicht von Interesse wäre und die regionale Stabilität nachhaltig schädigen würde, wie der Élyséepalast mitteilte.
Bericht: Iran könnte seine Haltung überdenken
Nach Meinung eines Kommentators der Washington Post könnten die intensiven diplomatischen Bemühungen inzwischen durchaus ihre Wirkung zeigen. Zwar sei das Risiko eines iranischen Angriffs nach wie vor hoch. Doch Beamte des Weißen Hauses hätten der Zeitung erklärt, dass sich die Bemühungen allmählich auszahlten und die Möglichkeit bestehe, dass der Iran seine Haltung überdenkt. Dazu habe auch die militärische Drohkulisse mit der Verlegung zusätzlicher US-Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge in die Region beigetragen.
Der Iran wisse genau, dass die USA ihre Interessen und Partner unnachgiebig verteidigen würden, wurde ein ranghoher US-Regierungsbeamter von der Zeitung zitiert. Auch sei dem Iran deutlich gemacht worden, dass eine größere Eskalation schwerwiegende Folgen für die Stabilität der neuen Regierung von Präsident Peseschkian nach sich ziehen würde.
Ägypten hat unterdessen seinen Fluggesellschaften Flüge über der iranischen Hauptstadt Teheran am frühen Donnerstagmorgen untersagt. "Alle ägyptischen Fluggesellschaften sollten Flüge über Teheran vermeiden", hieß es in einem Sicherheitshinweis der zivilen Luftfahrtbehörde in Kairo. Pläne für Flüge über dieses Gebiet würden abgelehnt. Die Anweisung galt ab 3 Uhr nachts (MESZ) für drei Stunden. Die Luftfahrtbehörde verwies auf eine Warnung der iranischen Behörden, nach der etwa zur selben Zeit im Land Militärübungen geplant seien.
Zuvor hatte Jordanien bereits einen Hinweis an Fluggesellschaften erteilt, Maschinen im Luftraum des an Israel grenzenden Königreichs auf einen möglichen Angriff des Irans vorzubereiten. Alle ankommenden Maschinen sollten vorab mit Treibstoff für 45 zusätzliche Minuten Flug betankt werden, hieß es.
Die Informationsstelle des internationalen Flughafens in Teheran bezeichnete die Lage im iranischen Luftraum unterdessen als normal. Nur einige Fluggesellschaften wie die Lufthansa und Austrian Airlines haben ihren Flugbetrieb nach Teheran wegen eines möglichen Militärkonflikts mit Israel vorerst eingestellt. Turkish Airlines stoppte zumindest seine Nachtflüge.
Libanons Gesundheitssektor plant für Ernstfall
Aufgrund der drohenden Eskalation bereiten sich Krankenhäuser im Libanon auf einen Ernstfall vor. Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums haben die Krankenhäuser in dem wirtschaftlich gebeutelten Land zwar einen Vorrat für rund vier Monate. Sollten im Falle einer Eskalation aber auch die Häfen oder Flughäfen des Landes zum Ziel werden und außer Betrieb geraten, würden etwa die Vorräte des größten öffentlichen Krankenhauses, der Rafik-Hariri-Klinik, für maximal zehn Tage reichen, sagte Direktor Dschihad Saadeh der dpa. Sollte es mit Patienten überschwemmt werden, könnten die Vorräte schon nach wenigen Tagen zur Neige gehen.
Nach der Tötung des Hamas-Auslandschefs Ismail Haniyeh in Teheran sowie der Tötung des Militärkommandeurs der Hisbollah-Miliz durch einen israelischen Angriff in Beirut ist die Gefahr eines großen Krieges im Nahen Osten greifbar. Der jüdische Staat ist nach Ansicht von 57 islamischen Staaten auch für die Tötung Haniyeh "voll verantwortlich". Der Anschlag sei ein "eklatanter Bruch des Völkerrechts und der UN-Charta", heißt es in der Abschlusserklärung der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) nach einer Notfallsitzung in Saudi-Arabien.
Islamische Länder: Kampf für Palästinenser verstärkt
Der Kampf um Gerechtigkeit für die Palästinenser werde nun noch verstärkt geführt, sagte der Außenminister Gambias, Mamadou Tangara, dessen Land derzeit den Vorsitz in der Organisation hat. Israel hat sich zu Haniyehs Tod bisher nicht geäußert. Laut US-Medien starb er durch eine Bombe.
Die Hamas soll unterdessen einen neuen Verhandlungsleiter für die Gespräche über eine Waffenruhe im umkämpften Gazastreifen ernannt haben. Chalil al-Haja werde die Hamas bei den indirekten Verhandlungen vertreten und dabei den Weisungen ihres neuen Anführers Jihia al-Sinwar unterstehen, berichtete der saudi-arabische TV-Sender Al Hadath unter Berufung auf drei palästinensische Quellen, darunter ein Hamas-Beamter. Haniyeh hatte bis zu seinem Tod als Chefdiplomat der Hamas gegolten.
Anders als sein Vorgänger Hanija, der als Vorsitzender des Hamas-Politbüros ein Luxusleben in Katar führte, hält sich Sinwar seit dem von ihm befehligten Massaker im israelischen Grenzgebiet am 7. Oktober versteckt. Er wird irgendwo im weit verzweigten Tunnelnetzwerk unter dem blockierten Küstenstreifen vermutet. Wie sich die Bündelung der Macht innerhalb der Hamas in Sinwars Händen auf die Bemühungen um eine Waffenruhe auswirken wird, ist noch ungewiss. Bisher zeigte er sich unerbittlich und lehnte Kompromisse mit Israel strikt ab.