Politik/Ausland

Hongkong am Wendepunkt: Erster Erfolg für Protestbewegung

Ein Meer aus Regenschirmen und Helmen auf der einen Seite, Schlagstöcke, Pfefferspray und Wasserwerfer auf der anderen: In Hongkong lieferten sich am Mittwoch Demonstranten und Polizei erneut gewalttätige Auseinandersetzungen.

Tausende Menschen waren vor das Parlament der Sonderverwaltungszone gezogen, um die Verabschiedung eines Gesetzes, das Auslieferungen nach China ermöglichen soll, zu verhindern. Sie blockierten Straßenzüge im Regierungsviertel, Demonstranten bewarfen Polizisten mit Steinen. Diese antworteten mit Gummigeschoßen, mehrere Menschen wurden verletzt.

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Am Ende konnte die Protestbewegung einen Teilerfolg feiern: Der teilweise frei gewählte Legislativrat Hongkongs musste die zweite Lesung des Gesetzes verschieben. Allerdings will die Peking-treue Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam es wie geplant nächste Woche verabschieden. Sie verurteilte die Proteste als „Aufruhr“.

Massive Mobilisierung

Kritiker des Gesetzes sehen die 1997 zwischen der Ex-Kolonialmacht Großbritannien und China fixierten Rechte und Freiheiten Hongkongs bedroht und warnen vor Menschenrechtsverletzungen: Chinas Justizsystem entspreche nicht internationalen Standards, politisch Andersdenkende könnten verfolgt werden.

„Nach China ausgeliefert, für immer verschwunden“, hatten Demonstranten bereits am Sonntag skandiert, als Hunderttausende in Hongkong demonstrierten – es war die größte Kundgebung seit der Niederschlagung der Demokratiebewegung in China 1989, die sich vor kurzem zum 30. Mal jährte.

„In diesem Moment entscheidet sich die Zukunft Hongkongs“, sagt die China-Expertin Nadine Godehardt von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik im KURIER-Gespräch. Zwar sei die künftige Entwicklung der Sonderverwaltungszone seit den Protesten von 2014 immer wieder bewusst diskutiert worden, und es habe auch Demonstrationen gegeben. Eine derart massive Mobilisierung sei allerdings nicht vorhersehbar gewesen.

Godehardts Einschätzung nach fürchten viele, vor allem junge Hongkonger, dass aus dem Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“ nach und nach „Ein Land, eineinhalb“ oder gar „Ein Land, ein System“ werden könnte.

Warum Regierungschefin Lam das Auslieferungsgesetz gerade jetzt derart vorantreibt, ist laut Godehardt unklar. Eine Vermutung sei, dass sie sich eine zweite Amtszeit sichern möchte. Es sei aber auch möglich, dass das Gesetz als Vorbereitung der Implementierung von Artikel 23 der Hongkonger "Mini-Verfassung" von 1997 diene.

Dies würde laut Godehardt zu der Einführung durchaus beunruhigender nationaler Sicherheitsgesetze führen, die den politischen Aktionsradius von Hongkongern und ausländischen Personen und Organisationen deutlich einschränken würde.

Zwar haben mittlerweile neben Großbritannien u. a. auch USA und EU Kritik am Auslieferungsgesetz geübt. Der internationale Druck müsse aber viel stärker werden, damit die Regierung es noch zurückziehe, meint Godehardt.

Peking betrachte die jüngsten Proteste vorerst als interne Angelegenheit Hongkongs, das könnte sich aber schnell ändern. „Die Lage ist sehr zugespitzt, es wird kritisch bleiben.“