Präventivschlag: 100 israelische Kampfjets griffen 1.000 Hisbollah-Stellungen an
Von Norbert Jessen
Israels Kampfflugzeuge starteten am Sonntagmorgen zu einem Vorbeugeschlag gegen die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah. Nur wenige Minuten bevor diese 320 Raketen und Drohnen auf Israel feuerte. Über 100 Kampfflugzeuge griffen um die 1.000 Hisbollah-Stellungen und Raketenwerfer an.
Alle Bedingungen, die zu der in aller Welt befürchteten Ausweitung der seit Oktober 2023 tagtäglichen Kampftätigkeiten an Israels Nordgrenze in einen regionalen Nahostkrieg führen könnten, waren am Sonntagmorgen auf dem Schlachtfeld zwischen Libanon, Syrien und Israel zu finden. Doch am Ende saßen sich die verfeindeten Seiten gegenüber wie gehabt: lauernd - auf die Reaktion des anderen.
Vorbeugeangriff
So überraschend kam Israels Präventivschlag, dass die erste Verlautbarung der Hisbollah zum eigenen Angriff diesen nicht einmal erwähnte. Es blieb bei einer allgemeinen Darstellung, demzufolge der Angriff die gezielte Tötung des Hisbollah-Kommandeurs Fuad Schukr rächen sollte. Dazu kamen technische Details zu Raketen und Zielen. Darunter vor allem militärische Beobachtungsposten in Israels Norden.
Später hieß es ebenfalls kurz angebunden: „Für heute sehen wir die erste Stufe unserer Vergeltung für Fuad Schukr als beendet an.“ Die New York Times meldete, dass der Gegenangriff Israels den Abschuss von Langstreckenraketen auf Tel Aviv verhindert haben soll.
Israels Armeesprecher hatte noch vor der Hisbollah seine Erklärung abgegeben: „Wir konnten massive Angriffsvorbereitungen feststellen und führten deshalb einen Vorbeugeangriff durch.“ Hinzu kam der Hinweis auf weitere mögliche zukünftige Angriffsziele im Libanon.
Und die Warnung an die Hisbollah und die libanesische Regierung vor neuen Angriffen: „Bürger Libanons: Ihr seid in Gefahr.“ Von 320 feindlichen Flugkörpern seien über 250 von der israelischen Luftabwehr abgefangen worden. Keine Armeeeinrichtung sei beschädigt worden. Israels Premier Benjamin Netanjahu, der sich am Morgen mit dem Kriegskabinett im zentralen Befehlsstand der Armee einfand, teilte mit: „Wir gaben Anweisung, die Initiative zur Abwendung der Bedrohung zu ergreifen.“
Ausweitung des Krieges blieb aus
Die ständig befürchtete Ausweitung des Krieges blieb am Sonntag aus. Hisbollah führte die Angriffe so weit wie möglich nach Plan durch. Den massiven Präventivangriff ignorierte sie. Es kam auch nicht zu der gefürchteten Kooperation mit dem Iran. Gleichzeitige Angriffe wie im April blieben aus.
Hatte doch auch Teheran Vergeltungsschläge angekündigt, nachdem Ismail Haniye, Chef der in Gaza herrschenden islamistischen Hamas-Miliz, in Teheran ebenfalls Opfer einer gezielten Tötung wurde. Der Iran reagierte bislang nicht direkt. Trotzdem bleibt Israels Armee in Alarmbereitschaft. „Auch aus anderen Teilen der Region sind weitere Angriffe zu erwarten.
Stärkste Angriffe seit Kriegsbeginn
Auch andere Verbündete des Iran, wie die Huthi im Jemen, hatten mit Angriffen gegen Israel gedroht. Ohne dies bislang umzusetzen. Unbestätigten Meldungen zufolge sollen Schiitenmilizen aus dem Irak am Sonntag Raketen auf Israel abgeschossen haben. Sie sollen von israelischen Verbündeten in der Region abgefangen worden sein.
Es waren die stärksten israelischen Angriffe seit Beginn der Kämpfe im letzten Oktober. Israel beschoss Ziele im Libanon bis zu 70 Kilometern von der Grenze entfernt. Auch die Hisbollah feuerte auf Ortschaften in Israel, die bislang nur selten angezielt wurden. Bis in die Vororte der Hafenstadt Haifa. Israels Zivilschutz verschärfte seine Anweisungen für die Bevölkerung im Norden. Erziehungseinrichtungen, die auch in den jetzigen Ferien geöffnet sind, wurden teilweise geschlossen. Die Öffentlichkeit ist aufgefordert, sich in Reichweite von Schutzräumen aufzuhalten. In südlicheren Regionen und im Landesinneren ist der Alltag kaum spürbar eingeschränkt. Der Flughafenbetrieb wurde nach kurzer Schließung schon am Sonntagmorgen wieder aufgenommen.
Zu befürchten war auch die Einstellung der Verhandlungen zu einem Austausch israelischer Geiseln im Hamas-Gewahrsam mit verurteilten Hamas-Terroristen aus israelischen Gefängnissen. Doch die Unterhändler-Delegationen sind mittlerweile in Kairo eingetroffen. Vom Ergebnis der Verhandlungen mit einem Austausch-Abkommen hängt ein Ende der Kämpfe zwischen Hamas und Israel im Gazastreifen ab.
Was auch die Lage an der Nordgrenze zwischen Israel und Hisbollah beruhigen soll. Ob es zu einer zweiten Stufe der Hisbollah-Vergeltung kommen wird, bleibt bis nach den Verhandlungen offen. Feuerte die Hisbollah am Sonntagmorgen Hunderte Raketen auf Israel, könnten es nach einer weiteren Verschärfung des Krieges auch Tausende an einem Tag sein. Was im Gegenzug auch für die Heftigkeit israelischer Angriffe gilt.