Hilferufe aus Italien nach Corona-Bonds: Österreich "verantwortungslos"
„Corona-Bonds“. Ach, das sei doch nur ein „Schlagwort“. Ursula von der Leyen hatte wohl eigentlich versuchen wollen, der Diskussion um die möglichen Anleihen in der Corona-Krise am Wochenende ein wenig die Luft rauszunehmen.
Medien hatten berichtet, die EU wolle Arbeitslosenversicherungen der Mitgliedstaaten in der Krise mit Zuschüssen in Milliardenhöhe unterstützen und dazu eigene Anleihen an den Finanzmärkten platzieren - einen Vorläufer für Eurobonds.
Die EU plane jedenfalls keine Euro-Bonds, sagte die Kommissionschefin in einem am Samstag publizierten Interview mit der „Deutschen Presse Agentur“. "Da gibt es ganz klare rechtliche Grenzen, das ist nicht der Plan. Daran arbeiten wir nicht."
Der Streit über sogenannte Corona-Bonds schlägt in der EU derzeit hohe Wellen. Italien und andere Länder drägen auf eine gemeinsame Schuldenaufnahme, die aber Länder wie Österreich, die Niederlande und Deutschland ablehnen.
Die Eurogruppe war aufgerufen, in den kommenden zwei Wochen Vorschläge zu machen. Die Position der österreichischen Regierung war allerdings bereits bekannt. Kanzler Sebastian Kurz hatte beim EU-Videogipfel am Donnerstag sein Nein zu einer Vergemeinschaftung von Schulden auf EU-Ebene bekräftigt.
Doch auch in der österreichischen Regierung dürfte die Position zumindest nicht ganz unumstritten sein. "Euro- oder Corona-Bonds sind eine Möglichkeit für eine solidarische Lösung, möglicherweise gibt es andere Antworten", sagte Klubobfrau Sigrid Maurer jedenfalls am Samstag der "Tiroler Tageszeitung".
Marshall-Plan
In mehreren Interviews zeigten sich aktive und ehemalige italienische Politiker empört über die Ablehnende Haltung einiger EU-Staaten.
Sollte die EU nicht sofort Maßnahmen ergreifen, müssten die nächsten Generationen die "immensen Kosten einer zerstörten Wirtschaft" tragen, sagte Italiens Premier Giuseppe Conte der Wirtschaftszeitung "Sole 24 Ore" zeitgleich mit dem Interview der EU-Chefin.
In Anspielung auf den Marshall-Plan der USA nach dem Zweiten Weltkrieg (offiziell "European Recovery Program") sprach sich Conte für die Ausgabe von "European Recovery Bonds" aus, die den Wiederaufbau des sozialen und wirtschaftlichen Netzes in Europa finanzieren sollen. Italien selbst werde 50 Milliarden Euro für seine Wirtschaft locker machen.
"Europas Existenzberechtigung"
Unterstützt wird Italien in dieser Forderung von Spanien und Frankreich, aber auch von großen Teilen des EU-Parlaments.
"Ich vertrete eine stark leidende nationale Gemeinschaft und kann keine Verzögerungen erdulden. In Italien, sowie in anderen EU-Mitgliedsstaaten müssen wir tragische Entscheidungen ergreifen. Wir müssen jedoch zugleich verhindern, dass Europa tragische Fehler begeht. Sollte Europa nicht in der Lage sein, dieser epochalen Herausforderung Stand zu halten, würde Europa vor Augen unserer Bürger seine Existenzberechtigung verlieren", sagte Conte.
Auch der italienische Ex-Premier Enrico Letta hat im Konflikt um die Corona-Bonds scharfe Kritik an Österreich geübt. Die ablehnende Haltung Österreichs und der Niederlande sei "verantwortungslos", sagte Letta der französischen Tageszeitung "Le Figaro".
"Das Virus hat nichts mit dem Defizit oder den Schulden zu tun, und es betrifft uns alle", betonte der sozialdemokratische Politiker. "Die selbst ernannten Tugendhaften beschuldigen die anderen wieder einmal, zu viel auszugeben", kritisierte Letta.
Und er sagt ein Umdenken bei diesen Nationen voraus, wenn die Corona-Krise dort härter einschlägt: "Die Niederlande oder Österreich haben eine Position eingenommen, die sich sicher innerhalb von 20 Tagen ändern wird, wenn sie dann selbst die Situation haben werden, die andere Staaten jetzt durchmachen. Also wozu noch warten?"
Er stellte in Abrede, dass die Corona-Bonds nur von den ärmeren Mitgliedsstaaten gewünscht würden. Schließlich hätten sich der Initiative des französischen Präsidenten Emmanuel Macron auch Irland, Luxemburg oder Slowenien angeschlossen.
"Das Ende Europas oder seine Rettung"
Scharfe Worte fand die italienische Zeitung „La Repubblica“ gegenüber den zögernden Staats- und Regierungschefs aus den Niederlanden, Österreich, Deutschland und Finnland: Sie „wollen anscheinend erst einmal wissen, ob die Epidemie auch sie überflutet, ob die Infizierung dort so schwerwiegend wird wie in Italien, Spanien und Teilen Frankreichs", heißt es in einem Leitartikel.
Die kommenden Tage seien richtungsweisend für die Zukunft Europas: "Das Ende Europas oder seine Rettung. Die Union hat sich 14 Tage Zeit gegeben. Als wäre es eine Art Quarantäne, die Zeit um festzustellen, ob man sich angesteckt hat oder nicht. In diesen zwei Wochen geht es um die Alternative, ob man die EU sterben oder genesen lässt mit ihrer Perspektive und mit ihrer Währung (...) Die Distanz zwischen der "mediterranen" und der "nordischen" Front hat sich in den vergangenen 48 Stunden in eine Art Alptraum verwandelt.“
In ihrem am Samstag erschienenen Interview zeigte sich Kommissionschefin Von der Leyen jedenfalls besorgt, dass sich in der Zeit der Corona-Krise die wirtschaftliche Kluft in der EU vertiefe. Dem müsse man jedenfalls entgegensteuern: "Das Ziel Europas war es doch immer, dass wir wirtschaftlich zusammenrücken."