Orbán missbraucht Wiener Getreidemarkt als Kriegshintergrund
Von Caroline Ferstl
"Krieg" steht in riesigen Buchstaben auf dem schwarz-weiß gehaltenen Plakat, hinterlegt sind sie mit den Köpfen der Oppositionspolitiker Ungarns: vom grünliberalen Bürgermeister Budapests Gergely Karácsony bis zum einst der Regierung nahestehenden Systemkritiker Péter Magyar und dem ehemaligen sozialliberalen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány. Darunter: "Nur Fidesz am 9. Juni 2024".
Dieses düstere Bild, ein drohender Krieg in ganz Europa, und nur die ungarische, national-konservative Regierung als Friedensgarant: Dieses Motiv zog sich konsequent den Wahlkampf des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und seiner Fidesz-Partei. Am Sonntag finden in Ungarn, zeitgleich mit der EU-Wahl, Lokalwahlen statt. Mal richtete sich der Diskurs gegen die Oppositionsparteien, mal gegen Brüssel und die EU – es ist dieselbe Strategie, die Orbán in allen Wahlkämpfen fährt. Andere Plakate zeigen die Oppositionspolitiker als Kellner abgebildet vor EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Ein vermeintlich drohender Krieg ist auch Thema der wöchentlichen Radio-Ansprache Orbáns: "Dieser Krieg ist nicht unser Krieg, er wird nicht in unserem Interesse geführt. Die Ungarn dürfen unter diesem Krieg nicht leiden, wir müssen uns heraushalten." Brüssel und die anderen Mitgliedsstaaten würden Europa in einen Krieg taumeln lassen; genauso wie heute habe man damals Ungarn in den Ersten und Zweiten Weltkrieg gedrängt, so Orbán – der Verharmlosung der Mitverantwortung Ungarns unter dem autoritären Reichsverweser Miklós Horthy am Zweiten Weltkrieg würden zahlreiche Historiker wohl widersprechen.
Warnung vor Krieg – aber gegen wen?
Vergangenen Samstag initiierte die Regierung in Budapest einen "Friedensmarsch", an dem Tausende Anhänger teilnahmen. Mit ungarischen Fahnen und zuvor verteilten Schildern, auf denen "No War" ("Kein Krieg") stand, marschierte man durch die ungarische Hauptstadt. "Wir müssen verhindern, dass Europa in den Krieg, in sein eigenes Verderben rennt", forderte Orbán einmal mehr. Dabei widerholte Orbán sein Narrativ: "Wir sind die einzige für den Frieden stehende Regierung in der Union.". Würde "die Linke" – wie Orbán die gesamte Opposition stets bezeichnet, sorgar eigentlich konservative und rechtsextreme Parteien – bei den Wahlen siegen, sei es nur eine Frage der Zeit, "wann uns der Krieg einholt".
Auffallend ist, dass Orbán bei seinen "Warnungen" nie konkret sagt, um welchen Krieg oder gegen wen es sich handelt: Auf der Hand liegt der Krieg in der Ukraine, was jedoch kaum explizit genannt wird. Genauso wenig wird die Verantwortung Russlands an dem Krieg thematisiert; weder Russland noch Kreml-Chef Wladimir Putin werden in Orbáns Reden erwähnt. Ungarn vertritt innerhalb der EU eine pro-russische Position, ist gegen Sanktionen gegen Russland und gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Ab 1. Juli übernimmt Budapest die EU-Ratspräsidentschaft.
Viel Geld für Wahlwerbung
Euronews und Politico zufolge gehört Orbáns Fidesz zu jenen Parteien europaweit, die in den vergangenen Wochen am meisten Geld für Online-Werbung ausgegeben haben. Für die Verbreitung eines rund 15-sekündigen Spots auf Google sollen mehr als 60.000 Euro bezahlt worden sein. "Krieg ist schrecklich, Kriege bringen den Tod, sie zerstören unsere Heimatländer. Krieg verursacht Inflation und ruiniert die Wirtschaft", heißt es darin; illustriert ist das Video abermals mit den Gesichtern von Péter Magyar und dem jüdischen US-Investor George Soros. In nur elf Tagen wurde das Video über zehn Millionen mal aufgerufen.
Insgesamt soll die Regierungspartei zwischen 30. April und 29. Mai 230.000 Euro für Google-Anzeigen ausgegeben haben – so viel wie keine andere politische Partei in der EU.
Brennender Wiener Getreidemarkt auf Flyer
Zuletzt kam auch dem Wiener Getreidemarkt eine unrühmliche Rolle im ungarischen Wahlkampf zu: In der westungarischen Stadt Szombathely wurde mit dem Foto der verwüsteten und brennenden Straße Stimmung gemacht. Das Bild, das in der Stadt auf einem Flyer verbreitet wurde, soll auf die "Kriegsbedrohung" hinweisen, wenn nicht für Fidesz gestimmt wird.
Den Recherchen der Gemeindezeitung Savaria Fórum nach handelt es sich bei dem Bild um ein Stockfoto des Getreidemarktes aus dem Jahr 2013 von der Fotoplattform Pixabay. Dieses wurde so bearbeitet, dass es den Eindruck eines Kriegsgebietes erweckt – im Vordergrund wurde eine verzweifelte alte Frau dazumontiert. Allerdings ist dabei das Logo der Technischen Universität (TU) weiterhin gut sichtbar geblieben.