Politik/Ausland

Weidenholzer: "Türkei hat rote Linie überschritten"

kurier.at: Herr Weidenholzer, die türkische Regierung hat pro-kurdische Oppositionspolitiker festgenommen. Was sagen Sie dazu?

Josef Weidenholzer: Damit hat die Regierung in Ankara die rote Linie eindeutig überschritten. Das hat aber schon mit der Aufhebung der Immunität gegen Strafverfolgung von türkischen Parlamentariern begonnen. Nur so ist es möglich, pro-kurdische Politiker wegen irgendwelcher inszenierter Vorwürfe festnehmen zu können. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung, die in Richtung Eskalation gehen wird.

Was meinen Sie genau?

Ich habe mit einigen pro-kurdischen Oppositionspolitikern der HDP [Halklarin Demokratik Partisi/Demokratische Partei der Völker, Anm.) gesprochen. Sie glauben, dass es nicht bei diesen Verhaftungen bleiben wird. Sie rechnen damit, jederzeit von der Polizei abgeführt zu werden. Das, was sich in der Türkei abspielt, stellt außerdem eine enorme Gefahr für den gesamten Mittleren Osten dar. Man denke bloß an Syrien oder die jüngsten Gefechte in Mossul. Wenn nicht irgendwer mit dem Feuerlöscher kommt, droht der Türkei ein Bürgerkrieg.

Was ist mit der EU? Sie haben immer wieder betont, die Gemeinschaft könnte als Friedensvermittler einschreiten.

Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass eine friedliche Lösung im Kurdenkonflikt ohne Verhandlungen mit der PKK [Partiya Karkerên Kurdistanê/Arbeiterpartei Kurdistans, Anm] nicht möglich ist. Recep Tayyip Erdoğan hat den Friedensprozess mit den Kurden vor drei Jahren ja selbst angestoßen. Bis Juli des Vorjahres, als der zweijährige Waffenstillstand zwischen Regierung und PKK zusammengebrochen ist, hat er den Dialog selbst vorangetrieben. Jetzt versucht er mit allen Mitteln, jegliche Kritik gegen ihn auszuschalten.

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Wie EU-tauglich ist ein Staat, der Journalisten und Oppositionspolitiker verhaftet und darüber nachdenkt, die Todesstrafe wieder einzuführen?

Ganz klar: Kein Land kann EU-Mitglied werden, wenn es die Todesstrafe einführt. Und die Türkei verpflichtet sich als Mitglied des Europarats zur Europäischen Menschenrechtskonvention, also auch zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe.

Und trotzdem soll das türkische Parlament darüber abstimmen. Wie ist das mit den Werten der EU vereinbar?

Die Gemeinschaft hat die türkische Regierung gewarnt und mit einem Stopp der Beitrittsverhandlungen gedroht. Es wird weitere schärfere Reaktionen der EU und von Federica Mogherini (Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Anm.) geben. Ich habe gehört, dass in diesem Augenblick eine Konferenz europäischer Botschafter in Ankara stattfindet. Auf alle Fälle müssen wir nun Farbe bekennen und ein Signal setzen, zum Beispiel indem man die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei einfriert.

Nun wird Erdoğan vermutlich darauf pfeifen, was EU-Politiker fordern. Kürzlich verbat er sich jegliche Einmischung in die türkische Politik: "Was der Westen sagt, zählt nicht."

Naja, darauf pfeifen wird er nicht. Die Türkei ist mit der EU wirtschaftlich eng verknüpft. Wenn alle Gespräche beendet werden, dann schadet sich das Land nur selbst. Dieser Meinung sind ja auch Abgeordnete der Erdoğan-Partei AKP [Adalet ve Kalkınma Partisi/Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung, Anm.]. Sie sind mit dem, was in der Südosttürkei mit den Kurden passiert, gar nicht einverstanden, weil sie wissen, welche Folgen das haben wird. Wenn sich Erdoğan isoliert, isoliert er auch die Türkei und das kann sich das Land nicht leisten.


Zur Person: Josef Weidenholzer ist österreichischer SPÖ-Europaabgeordneter und Menschenrechtssprecher der Europäischen Sozialdemokraten. Im vergangenen Herbst besuchte er die kurdische Stadt Kobane im Norden Syriens und Flüchtlingslager an der türkisch-syrischen Grenze.