Politik/Ausland

Flüchtlingspakt: Erdogan droht Europa erneut mit Grenzöffnung

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat Europa erneut gedroht, den Flüchtlingen die Tore zu öffnen, wenn sein Land nicht mehr Unterstützung erhalte. Wenn die mit den USA vereinbarte "Sicherheitszone" in Nordsyrien nicht umgesetzt werde, "werden wir gezwungen sein, die Türen zu öffnen", sagte Erdogan am Donnerstag in einer Rede in Ankara.

Wenn Europa keine weitere Hilfe gewähre, könne die Türkei die Last nicht länger schultern, so Erdogan. "Was die Lastenteilung der Flüchtlinge angeht, die wir als Gäste aufgenommen haben, haben wir von der Welt, und allen voran von der Europäischen Union, nicht die nötige Unterstützung erhalten. Um sie zu bekommen, kann es sein, dass wir dazu gezwungen sein werden, das zu tun."

Die Türkei hatte Anfang August mit den USA die Schaffung einer "Sicherheitszone" entlang der türkischen Grenze zu den Kurdengebieten in Nordsyrien vereinbart. Die Gebiete werden von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) kontrolliert, die Ankara wegen ihrer engen Verbindungen zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als Bedrohung sieht. Die USA unterstützten die syrische Kurdenmiliz dagegen im Kampf gegen die Jihadisten.

Die Türkei will die geplante "Sicherheitszone" nutzen, um einen Teil der 3,6 Millionen syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge anzusiedeln, die in der Türkei leben. Erdogan sagte nun, das Ziel der Türkei sei, "mindestens eine Million" Syrer in dem Gebiet anzusiedeln. Seine Regierung befürchtet, dass die jüngste Offensive der syrischen Regierungstruppen in der letzten Rebellenbastion Idlib weitere Menschen zur Flucht in die Türkei zwingt.

Die EU unterstützt die Türkei bei der Versorgung der syrischen Flüchtlinge. Im EU-Flüchtlingsdeal von März 2016 sagte Brüssel der Türkei sechs Milliarden Euro über mehrere Jahre zu. Erdogan wirft der EU aber regelmäßig vor, ihre Versprechen nicht einzuhalten, und droht mit einem Bruch des Abkommens. Am Donnerstag sagte er, die Türkei habe 40 Milliarden Dollar für die Flüchtlinge ausgegeben, von der EU aber bisher nur drei Milliarden Euro erhalten.

Die von Willkommenskultur geprägte Stimmung in der Türkei hatte sich jüngst gedreht, vor allem wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage.

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NGOs besorgt

Menschenrechtsaktivisten aus dem Mittelmeerraum äußern sich besorgt über die Behandlung von Flüchtlingen in der Türkei. Dort werde die Lage von Migranten immer schwieriger. Aus Kriegsregionen geflohene Minderjährige und unbegleitete Kinder seien oft mit Deportierungen konfrontiert. 26 NGOs unterzeichneten jüngst ein Protestschreiben. Sie sehen auch das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei in Gefahr.

Die Nichtregierungsorganisationen kommen unter anderem aus Griechenland, Zypern, Italien, dem Libanon, Syrien oder Bulgarien. Mehr als 6000 Migranten ohne gültige Papiere wurden ihnen zufolge seit Ende Juli in Istanbul festgenommen. Laut Human Rights Watch (HRW) seien in zahlreichen Fällen syrische Staatsbürger gezwungen worden, Dokumente über eine "freiwillige Rückkehr nach Syrien" zu unterschreiben. Die 26 Menschenrechtsorganisationen bemängelten zudem, dass die türkischen Behörden keinen effektiven Zugang zu Registrierungsverfahren für einen internationalen Schutzstatus garantieren würden.

Viele Betroffene seinen einfach an die Grenze zwischen der Türkei und Syrien in der Nähe von Idlib deportiert worden. Die Hilfsorganisationen appellierten an die EU und die Regierungen ihrer Mitgliedstaaten, das Flüchtlingsabkommen zwischen EU-Türkei aufzukündigen. In dem 2016 geschlossenen EU-Türkei-Abkommen hatte sich Ankara verpflichtet, alle Flüchtlinge zurückzunehmen, die neu auf den griechischen Inseln landen. Im Gegenzug hat die Türkei von der EU finanzielle Hilfe bei der Versorgung der Syrer erhalten. Dies hatte zusammen mit verschärften Kontrollen zu einem massiven Rückgang der Ankunftszahlen in Griechenland geführt.

Die 26 Hilfsorganisationen kritisierten nun, dass es in der Türkei immer wieder gegen syrische Flüchtlinge gerichtete Razzien gebe. Sie sprachen auch von zahlreichen Fällen von Deportationen nach Syrien. Die türkische Regierung wies die Vorwürfe zurück und spricht dagegen von einer "Politik der freiwilligen Rückkehr".

Der türkische Innenminister Süleyman Soylu bestätigte aber unlängst, dass bei einem seit dem 12. Juli laufenden Einsatz 6122 Menschen in Istanbul in Gewahrsam genommen worden seien, darunter 2600 Afghanen. Bei den Betroffenen handle es sich aber überwiegend nicht um Syrer. Diese würden auch nicht nach Syrien zurückgebracht werden, so der Minister. Die türkische Regierung sieht sich jedoch auch von der eigenen Bevölkerung unter Druck gesetzt. Eine Mehrheit der Türken Bevölkerung sieht laut Umfragen die Wirtschaftskrise sowie die Flüchtlingsfrage als größte Probleme des Landes an.

Die EU-Kommission hatte Griechenland am Montag Hilfe bei der Verlegung Hunderter Flüchtlinge auf das Festland angeboten. "Wir sind bereit, die griechischen Behörden bei diesen Transfers zu unterstützen", sagte eine Sprecherin am Montag in Brüssel. Die EU-Kommission ist demnach "besorgt über die große Zahl" der zuletzt in Griechenland angekommenen Flüchtlinge.

Sie gehe aber davon aus, dass die Türkei sich weiter an das mit der EU abgeschlossene Flüchtlingsabkommen halte, so die Sprecherin. Die griechische Regierung hat mehr als 1400 Flüchtlinge, überwiegend Minderjährige, Frauen und Familien sowie kranke Menschen, aus dem vollkommen überfüllten Lager Moria auf der Insel Lesbos aufs Festland verlegt. Sie wurden nördlich der Hafenstadt Thessaloniki untergebracht. Athen hatte sich am Wochenende zur Verlegung der Flüchtlinge entschlossen, nachdem Hunderte weitere Flüchtlinge über die Türkei eingetroffen waren.