Obamas Solo in der Einwanderungspolitik
Von Josef Siffert
Unser Einwanderungssystem funktioniert nicht. Und jeder weiß es." Zur besten Sendezeit, Donnerstag 20 Uhr, stellte Barack Obama seine Pläne zur Verbesserung der US-Einwanderungspolitik vor. "Als ich mein Amt antrat, habe ich versprochen, das Einwanderungssystem zu verbessern. Und das mache ich jetzt."
Der Präsident wagt damit den Alleingang. Via Verordnung will er - vorbei am Parlament - der Hälfte der rund 11,5 Millionen in den USA lebenden Migranten ohne gültige Papiere ein Bleiberecht für bis zu drei Jahre einräumen. Es gehe darum, dass rechtschaffene, illegale Einwanderer "aus dem Schatten treten" können, so Obama. Konkret sollen Eltern, deren Kinder legal im Land sind, künftig nicht abgeschoben werden, sofern sie bereits länger als fünf Jahre in den USA leben, sie sich bei Behörden registrieren lassen, eine polizeiliche Überprüfung bestehen und "bereit sind, Steuern zu zahlen."
Auch plant Obama eine Ausweitung der im Sommer 2012 von ihm erlassenen Verordnung "Deferred Action for Childhood Arrivals (DACA)". Kinder und Jugendliche, die vor dem 15. Juni 2007 illegal ins Land kamen, dürfen demnach einen Abschiebeaufschub für zwei Jahre beantragen, sofern sie unbescholten und in Ausbildung bleiben. Fast 600.000 Jugendliche haben so eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erhalten. „Sind wir eine Nation, die das Gräuel akzeptiert, wenn Kinder aus den Armen der Eltern gerissen werden? Oder sind wir eine Nation, die die Familie schätzt und hilft sie zusammenzuhalten“, so Obama in seiner Rede.
Keine Amnestie, keine Staatsbürgerschaft
Obama betonte, dass es sich dabei keinesfalls um eine "Amnestie" handle. "Ich weiß, viele kritisieren meine Handlung als Amnestie." Das System so kaputt zu belassen, wie es ist - das wäre Amnestie. "Massen-Amnestie ist unfair. Massen-Abschiebungen wären unmöglich und entgegen unserer Art", unterstrich Obama die Bedeutung der USA als Einwanderungsland. "Seit 200 Jahren verschafft uns unsere Tradition, Immigranten aus aller Welt willkommen zu heißen, einen enormen Vorteil gegenüber anderen Nationen." Einwanderer könnten helfen, "dass die Wirtschaft wächst und die Schulden sinken", so Obama in seiner TV-Rede.
Das Programm richte sich nicht an jene Personen, "die erst vor kurzem ins Land gekommen sind" oder es in Zukunft tun werden. "Es garantiert keine Staatsbürgerschaft, noch das Recht auf Dauer im Land zu bleiben." "Alles, was wir sagen, ist: Wir deportieren euch nicht."
Weitere Punkte
Als weitere Punkte nannte Obama auch einen verschärften Kampf gegen illegale Einwanderung. "Wer ein Straftäter ist, wird abgeschoben. Für den Grenzschutz sollen mehr Mittel bereitgestellt werden. Für alle, die eine illegale Einreise in die USA planen, ist die Wahrscheinlichkeit, gefasst und zurückgeschickt zu werden, gestiegen." Statt Kindern sollen Kriminelle abgeschoben werden.
Vereinfacht werden soll die legale Zuwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften aus bestimmten Bereichen wie Naturwissenschaften und Ingenieurswesen.
Gescheiterte Reformen
Lang ist´s her, da hat Obama eine große Einwanderungsreform verheißen. Sein Wahlkampf 2008 (Stichworte: Hope, Change) war davon geprägt und auch jener aus dem Jahr 2012. Das Versprechen brachte ihm zahlreiche und wichtige Stimmen aus der stark wachsenden Latino-Community und damit den Sieg im Rennen ums Weiße Haus. Eine Reform fehlt bis heute. Im Juni 2013 einigten sich zwar Demokraten und Republikaner im Senat auf einen parteiübergreifenden Gesetzesentwurf und nickten ihm mit großer Mehrheit (68 zu 32 Stimmen) auch ab (mehr dazu...), aber das Repräsentantenhaus legte sich quer. Vor allem Mitglieder der konservativen Tea Party stemmten sich dagegen.
Da die Situation mit Jänner 2015, wenn der neue Kongress mit republikanischen Mehrheiten im Repräsentantenhaus als auch im Senat seine Arbeit aufnimmt (mehr zu den Wahlen), wohl nicht einfacher wird, setzt Obama nun auf Alleingang. Freilich werde er weiterhin die Zusammenarbeit mit dem Kongress suchen und ihn „ermutigen, ein überparteiliches, umfassenden Gesetz“ zu erarbeiten, sagte er am Mittwoch. Obama selbst kann ohne den Kongress keine Gesetze erlassen - wohl aber mithilfe präsidialer Anordnungen die Bundesbehörden anweisen, drohende Abschiebungen auszusetzen.
Druckmittel Budget
Die Republikaner reagierten im Vorfeld der Rede des Präsidenten empört und werfen ihm vor, mit dem Regieren per Dekret seine Kompetenzen zu überschreiten. "Es ist gesetzeswidrig. Es ist gegen die Verfassung", schrieb Senator Ted Cruz. "Dies ist nicht die richtige Art, zu regieren. Das amerikanische Volk hat am Wahltag gesagt, dass es dies nicht will. Jetzt sind alle Optionen auf dem Tisch. Wir werden uns mit Händen und Füßen dagegen wehren“, meinte John Boehner, Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus (Bild).
Ein Hebel bei dem die Republikaner ansetzen könnten, ist das Budget. Sie könnten das Etatgesetz mit einem Passus zu versehen, der eine Finanzierung von Obamas Einwanderungsplänen verbietet. Bis 11. Dezember muss sich der Kongress auf ein neues Ausgabengesetz einigen, sonst droht wie im Oktober 2013 ein sogenannter "government shutdown“. 16 Tage lang mussten damals Behörden und Ämter wegen dem Streit um die Gesundheitsreform geschlossen werden, hunderttausende Staatsbedienstete wurden in den unbezahlten Zwangsurlaub geschickt.
Bilder: Auswirkungen des Shutdown 2013
Doch ob sich die Republikaner tatsächlich die Verantwortung dafür aufladen wollen, ist offen. Boehner selbst schloss einen „shutdown“ nicht explizit aus. Der künftige Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell (Bild), schon, wenngleich auch er der Meinung ist, dass der Präsident mit seinem Vorhaben „die Brunnen“ für die nächsten zwei Jahre Zusammenarbeit „vergiftet“ habe und ein einseitiger Schritt Obamas dem Schwenken eines roten Tuches vor dem Stier gleichkomme.
Timing ist somit alles, Obama könnte seine Verordnung erst nach dem Budgetbeschluss erlassen. Harry Reid, scheidender demokratischer Mehrheitsführer im Senat wünscht sich genau das und meinte, er würde vor Obamas Dekret “gerne die Finanzen dieses Landes vom Tisch haben".
Klage wegen Amtsmissbrauchs
Die Tea Party an der rechten Flanke der Republikaner forderte, wie schon öfter, eine Amtsenthebung. Auch wurde erneut eine Klage gegen Obama ins Spiel gebracht. Im Sommer verabschiedeten die Abgeordneten im House eine Resolution, die eine Klage gegen den mächtigsten Mann im Staat möglich macht. Bei der Umsetzung der Gesundheitsreform habe der Präsident seine Amtsbefugnisse überschritten und die Verfassung gebrochen. Statt das Gesetz zu befolgen, habe er es per Erlass verändert, argumentieren die Republikaner. Zwei Anwaltsbüros aus Washington, die die Klage vorbereiten sollten, machten bereits einen Rückzieher. Nun liegt die Hoffnung der Republikaner auf Jonathan Turley, der vor wenigen Tagen für die Sache gewonnen werden konnte. Turley ist Professor an der George Washington University Law School, hat nach eigenen Angaben 2008 Obama gewählt und gilt als Befürworter eines staatlichen Gesundheitssystems.
Demokraten gespalten
Innerhalb der Präsidentenpartei gilt Obamas Plan als umstritten. Am Montag haben Mehrheitsführer Harry Reid und andere Senatoren (Dick Durbin, Chuck Schumer, Patty Murray, Bob Menendez, Michael Bennet) dem Präsidenten via Brief ihre Rückendeckung zugesichert: „Wir unterstützen nachdrücklich das Vorhaben, das Einwanderungssystem zu verbessern, soweit es die gesetzliche Lage zulässt, und wir stehen hinter dem Vorhaben, Familien zusammenzuhalten.“ Durbin, Schumer, Menendez und Bennet haben den Entwurf des Einwanderungsgesetzes aus vorigem Jahr mit verfasst.
Anderer Ansicht sind da manche Senatoren aus eher konservativen US-Staaten. "Ich wünschte, er würde das nicht tun", sagte Senator Joe Manchin aus West Virginia. Er sprach sich dafür aus, dass die Reform vom künftigen Kongress beschlossen werde. Ähnlich äußerten sich Jon Tester (Montana) und Claire McCaskill (Missouri): „Das beunruhigt mich, so wie sich das entwickelt.“
Sollte es den Republikanern gelingen, in der Angelegenheit sechs Demokraten auf ihre Seite zu ziehen, könnten sie die präsidiale Anordnung stoppen. Dafür sind 60 der insgesamt 100 Stimmen im Senat nötig. Und laut der gemäßigten republikanischen Senatorin Susan Collins (Maine), seien auch einige Demokraten dazu bereit. Obama mache laut ihr einen "riesengroßen Fehler in politischer und inhaltlicher Hinsicht.“
Reagan und Bush machten es auch
Der Präsident kann nur im Rahmen bestehender Gesetze neue Direktiven erlassen. Das Weiße Haus argumentiert, dass es gerade in der Immigrationsfrage eine ganze Reihe von Präzedenzfällen gebe, in denen auch republikanische Präsidenten ohne Kongress gehandelt hätten.
Gemeint sind damit Ronald Reagan (Bild) und sein Nachfolger George H.W. Bush (der Ältere). Beide haben über Verordnungen die Abschiebung von rund 1,5 Millionen Familienmitgliedern von Einwanderern verhindert. Mit der letzten Reform des Einwanderungsgesetzes im Jahr 1986 durften sich drei Millionen Menschen mehr legal im Land aufhalten - deren Angehörige allerdings (noch) nicht. So wies Reagan im Jahr 1987 die damalige Einwanderungsbehörde, das Immigration and Naturalization Service, an, dass Kinder nicht mehr abgeschoben werden dürften. Bush weitete 1990 diesen Schutz im Rahmen des sogenannten „Family Fairness“-Dekrets auf Ehefrauen aus.