Drei EU-Regierungschefs in Kiew: "Unsere Pflicht, vor Ort zu sein"
Von Konrad Kramar
Die Sache war unter strengster Geheimhaltung vorbereitet worden. So erfuhren selbst die engsten Mitarbeiter des tschechischen Premiers Petr Fiala erst in den frühen Morgenstunden des Dienstag vom Ausflug des Regierungschefs.
Zwei Stunden später trat dann der Sprecher des polnischen Premiers, Mateusz Morawiecky, vor die Presse: Der Zug mit Fiala, Morawiecky, der quasi Zentralfigur der polnischen Politik, Vizepremier Jaroslaw Kaczynski, sowie dem Premier Sloweniens, Janez Jansa, habe bereits die Grenze in die Ukraine überschritten. Er wurde für spätabends in Kiew erwartet.
"Hier, im vom Krieg zerrissenen Kiew, wird Geschichte geschrieben", betonte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. "Hier kämpft die Freiheit gegen die Welt der Tyrannei. Hier hängt die Zukunft von uns allen in der Schwebe", schrieb er per Twitter.
Morawieckis Stellvertreter Jaroslaw Kaczynski, der ebenfalls nach Kiew gereist ist, forderte der PiS-Partei zufolge eine internationale Friedensmission der NATO zur Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland. Der Vorsitzende der regierenden konservativen Partei in Polen bekräftigte: "Ich glaube, wir brauchen eine Friedensmission der NATO oder möglicherweise einer breiteren internationalen Struktur." Diese solle "von Streitkräften geschützt" werden und "in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen". Sie solle zudem "mit Zustimmung des ukrainischen Präsidenten und der ukrainischen Regierung" auf "ukrainischem Territorium agieren". Auch der russische Präsident Wladimir Putin bezeichnet seinen Angriffskrieg in der Ukraine als Friedenseinsatz.
"Wir bewundern euren mutigen Kampf", erklärte der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala bei dem Treffen am Dienstagabend in Kiew. "Ihr kämpft um euer Leben, euer Land und eure Freiheit. Wir wissen, dass ihr auch um unser Leben kämpft. Ihr seid nicht allein."
Sein slowenischer Kollege Janez Jansa meinte, man habe in den vergangenen zwei Jahren viel über europäische Werte gesprochen - meist theoretisch. "Dann haben wir aber bemerkt, dass es europäische Grundwerte tatsächlich gibt. Und dass sie gefährdet sind. Und dass Europäer diese verteidigen. Mit ihrem Leben. In der Ukraine."
Es ist der erste Besuch hochrangiger EU-Politiker beim ukrainischen Präsidenten Selenskij in der Hauptstadt Kiew und ein bemerkenswerter Akt der Solidarität. „Das ist ein Signal an die Ukraine, dass Tschechien an ihrer Seite steht“, teilte Premier Fiala aus dem Zug mit, „und dass Präsident Selenskij unsere bedingungslose Unterstützung hat.“ Noch dramatischer formulierte es Amtskollege Morawiecky: „Europa muss die Unabhängigkeit der Ukraine garantieren und sicherstellen, dass es bereitsteht, um bei der Erneuerung des Landes zu helfen. In so einem Schlüsselmoment für die ganze Welt ist es unsere Pflicht, vor Ort zu sein, wo Geschichte geschrieben wird.“
Ein solches Zeichen der Unterstützung hatte nicht nur Selenskij persönlich, sondern hatten auch andere ukrainische Spitzenpolitiker gefordert. So meinte der Gouverneur der ukrainischen Region Czernowitz erst am Dienstag gegenüber dem KURIER an die Adresse der EU-Politik gerichtet: „Sie alle sollten heute zu uns kommen, nicht nur zur Grenze, sondern nach Kiew. Kommt, schaut euch das an, und dann sagt mir, ob ihr Putin immer noch versteht.“
Die Reise war offensichtlich schon am vergangenen Freitag, auf einem Treffen der EU-Regierungschefs, vorgeschlagen worden. Von da an hätten vor allem die Regierungsstellen in Warschau den Besuch geplant, in enger Abstimmung mit der EU-Kommission und der NATO, wie man betont.
Erst am Montag soll die endgültige Entscheidung gefallen sein. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und der Präsident des Europäischen Rates. Charles Michel seien natürlich informiert und konsultiert worden. Ein tatsächliches gemeinsames Mandat aller EU-Staaten gibt es allerdings nicht. Laut Fiala ist aber sogar die UNO über den Besuch der Politiker informiert.
Dass auch die Russen informiert wurden, davon geht ein hochrangiger tschechischer Offizier gegenüber dem tschechischen Rundfunk aus. Trotzdem, so der Militär, gebe es ein „tatsächliches Risiko“. Man könne nicht ausschließen, dass etwas Unvorhergesehenes passiere, „etwa wenn jemand entdeckt, dass er über die Reise der Politiker nicht informiert wurde und einen Angriff unternimmt.“
Auch die Themen, die man mit den Ukrainern besprechen wollte, blieben vorerst unter Verschluss. So sind ja Polen und Tschechien unter jenen EU-Ländern, die auf eine noch härtere Haltung gegenüber der russischen Invasion drängen, und auch auf weitere Waffenlieferungen. Offiziell aber ist man nur nach Kiew gereist, um Solidarität zu zeigen und ein großes Hilfspaket zu übergeben. Für die Rückreise sollte übrigens, auf dem Flughafen in Prag, bereits ein Regierungsjet bereitstehen.