Trumps Rede zur Lage der Nation: Zwischen Kampfansage und Versöhnungsgeste
Von Dirk Hautkapp
Mit einer Mischung aus Kampfansagen und Versöhnungsangeboten an die oppositionellen Demokraten hat Donald Trump seine zweite „Rede zur Lage der Nation“ bestritten. „Wir können alte Streitigkeiten überbrücken, alte Wunden heilen, neue Bündnisse schließen, neue Lösungen erfinden und das außergewöhnliche Versprechen auf Amerikas Zukunft freisetzen“, sagte der US-Präsident am Dienstagabend vor beiden Häusern des Kongresses und Vertretern gesellschaftlicher Eliten in Washington zu Beginn.
An die Stelle von „Rache“ und „Vergeltung“ müssten im Interesse Amerikas „Kooperation“ und „Kompromiss“ treten. Schon kurz darauf kam die kalte Dusche. Das aktuelle „Wirtschaftswunder“ könne allein durch „dumme Kriege, Politik oder lächerliche, parteiische Ermittlungen aufgehalten werden“, las Trump vom Teleprompter ab. Was nicht nur die hinter ihm sitzende Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, als Attacke auf die seit Monaten gegen das Trump-Lager laufenden Ermittlungen in der Russland-Affäre auffasste.
Kompromisslos
Entsprechend groß war der Unmut bei den Demokraten. Er sollte sich noch steigern, als Trump beim Streitthema Nr. 1 - Mauerbau/Mexiko/illegale Einwanderung - Kompromisslosigkeit pur demonstrierte. Ohne eine Mauer an der „sehr gefährlichen Grenze“, auf die gerade erneut "Karawanen" von Flüchtlingen aus Latein-Amerika zurennen würden, sei die nationale Sicherheit nicht zu gewährleisten.
Wissend, dass die Gegenseite ihm nicht wie gefordert 5,7 Milliarden Dollar für den Bau einer Mauer bewilligen will und die bis zum 15. Februar befristeten Verhandlungen zwischen Republikanern und Demokraten darüber bisher keine Lösung gebracht haben, gab Trump trotzig kund: „Ich bekomme die Mauer gebaut.“
Wer seine Meinung nicht teilt, wonach Mauern unbedingt funktionieren und für weniger illegale Einwanderung sorgen, bekam einen heftigen Seitenhieb ab: „Reiche Politiker und Parteispender drängen auf offene Grenzen, während sie ihr eigenes Leben hinter Mauern, Toren und Wächtern verbringen.“
Lob für sich selbst
Die Demokraten saßen wie versteinert in ihren Reihen, während viele Konservative frenetisch jubelten. Trump verbrachte wie erwartet und angekündigt weite Strecken seiner Rede mit Eigenlob. „Wir sind die heißeste Wirtschaft der Welt“, sagte er und nahm für sich in Anspruch, seit Amtsantritt vor zwei Jahren 5,3 Millionen Jobs geschaffen zu haben.
„Amerika gewinnt jeden Tag, die Lage unserer Nation ist stark.“ In der mehrfach von inszenierter Heldenverehrung unterbrochenen Rede (Trump ließ auf der Besuchertribüne Kriegsveteranen, heroische Polizisten und die Angehörigen von Opfern tödlicher Kriminalität illegaler Einwanderer ins Rampenlicht rücken) blieb der Präsident bei den traditionell erwarteten Zukunftsprojekten im Ungefähren.
So sollen HIV und Aids binnen zehn Jahren besiegt werden - aber wie? Kinderkrebs ebenso. Das von ihm bereits im Wahlkampf verkündete Programm zur Ertüchtigung der öffentlichen Infrastruktur (Straßen, Flughäfen etc.) kam ebenfalls wieder auf die Tagesordnung. Klarheit darüber, was wie bis wann gebaut und wie das alles bei enormer Staatsverschuldung finanziert werden soll? Fehlanzeige. Gleichwohl erntete der Präsident auch von der Opposition Beifall, als er ankündigte, dass seine Regierung die im globalen Vergleich hohen Arzneimittelpreise senken werde. „Sie sind falsch und unfair.“
Auf dem Fuße folgte aber auch hier ein Wechselbad. Den innerhalb der Demokratischen Partei zu beobachtenden Kampf um einen programmatischen Linksruck, der teure Forderungen wie „Krankenversicherung für alle“ hervorbringt, nutzte Trump zu einer polemischen Abgrenzung: „Amerika wird niemals ein sozialistisches Land sein. Wir wurden frei geboren und wir werden frei bleiben.“
Protestaktion der Demokratinnen
Trotzdem konnte Trump einen raren Moment der Eintracht nicht verhindern, den er offensichtlich so nicht beabsichtigt hatte. Als der Präsident den Umstand lobte, dass die gute Konjunktur vor allem viele Frauen in Arbeit gebracht habe, sprangen etliche weibliche Abgeordnete der Demokraten, die wegen des 100-jährigen Jubiläums des Frauenwahlrechts in den USA ganz in Weiß gekleidet waren, von ihren Sitzen auf - und feierten sich.
Hintergrund: Allein Trumps häufiges Macho-Auftreten hatte vor den Zwischenwahlen im Kongress im November zu einem Boom bei weiblichen Kandidaturen geführt. Mit dem Ergebnis, das nun 89 Demokratinnen im Repräsentantenhaus vertreten sind, aber nur 13 Republikanerinnen. Während die Fakten-Checker großer US-Medien noch dabei waren, Trumps Rede auf Wahrheitsgehalt zu überprüfen, setzte die Demokratin Stacey Abrams zur traditionellen Gegenrede an. Sie trug den Tenor, den in Washington gestern viele politische Beobachter und Akteure teilten: Dass sich Trump teilweise präsidial und über den Parteien schwebend gegeben habe, heiße "aus Erfahrung gar nichts".
Kurze Versöhnung
Schon heute müsse man damit rechnen, dass der Präsident via Twitter "in die alte Gewohnheit des Polarisierens und Verunglimpfens zurückfällt". Angebote zur Zusammenarbeit, sagte ein skeptischer Abgeordneter aus Maryland am Kapitol, "haben bei Trump leider meist keinen Bezug zur Regierungsrealität". Bestätigt sehen sich die Demokraten durch sehr abfällige Äußerungen, die Trump vor der Rede bei einer hochkarätigen Runde mit TV-Moderatoren abließ. Dort bezeichnete er den Führer der Opposition im Senat, Chuck Schumer, als „scheußlichen Hurensohn“ und nannte den möglichen Präsidentschaftskandidaten für 2020, Joe Biden, Vizepräsident unter Barack Obama, schlicht „dumm“.