Politik/Ausland

EU will Europas Rüstungsindustrie jetzt auf Kriegswirtschaft trimmen

Eine Million Artilleriegranaten innerhalb der nächsten zwölf Monate hat die EU der bedrängten Ukraine versprochen. Eine riesige Menge schwerer Munition, die sämtliche Rüstungskonzerne in der EU zusammen nicht herstellen können – derzeit produzieren sie jährlich rund 650.000 Granaten.

Aber, so drängte EU-Industriekommissar Thierry Breton am Mittwoch, „die EU hat das Potenzial, diese Menge herzustellen. Dafür muss unsere Industrie jetzt, was unsere Verteidigung betrifft, auf Kriegswirtschaft umstellen.“

Konkret bedeutet das: Sehr viel Geld für die Rüstungskonzerne; eine rasante Beschleunigung ihrer Produktion; gemeinsame Beschaffung auf europäischer Ebene und die nötigen Gesetze.
Und schon bei Letzteren krachte es: Da legte sich Frankreich dagegen quer, dass die Munition auch bei Rüstungskonzernen außerhalb der EU beschafft werden kann. Die Vollbremsung aus Paris sorgt vor allem bei Polen und den baltischen Staaten für schweren Unmut:

Wichtig sei nur, dass die Granaten so rasch wie möglich an die Ukraine übergeben würden. Und die Regierungen der osteuropäischen Staaten argwöhnten: Frankreich denke mehr an seine eigene Rüstungsindustrie als an die Ukraine-Hilfe.

Tatsächlich wird Frankreich einer der größten Nutznießer der kommenden Munitionsaufträge sein: Nur drei EU-Konzerne finden sich unter den 20 weltgrößten Rüstungsunternehmen der Welt – zwei davon sind französische.Wie weit steht die Munitionshilfe für die Ukraine jetzt? Derzeit durchforsten Europas Armeen ihre Bestände und liefern bereits 155 mm Artilleriegranaten. Eine Milliarde Euro stellt die EU dafür zur Verfügung.

Das neutrale Österreich macht hier nicht mit – wohl aber beim nächsten, geplanten Schritt: Die EU-Armeen wollen gemeinsam Munition bestellen und kaufen – und zwar riesige Mengen. Denn mit diesen Granaten sollen die eigenen Bestände wieder aufgefüllt und ausgebaut werden.

Im Rahmen dieser gemeinsam georderten Menge können Staaten auch zusätzliche Munition für die Ukraine kaufen und dann weiter liefern. Auch dafür ist eine Mrd. Euro vorgesehen. Und weitere 500 Millionen Euro machte die EU gestern locker, um die Munitionsproduktion für den europäischen Eigenbedarf zu unterstützen. Bereits im Juni könnten die Rüstungskonzerne die ersten Aufträge erhalten.

Das Problem: So schnell lässt sich eine Steigerung der europäischen Munitionsproduktion nicht erzielen. Der slowakische Rüstungskonzern ZVS Holding wird seine Artillerie-Produktion ab 2024 erhöhen und dann noch einmal ab 2025 – zu spät jedenfalls, um der Ukraine rasch unter die Arme zu greifen.

Notfallmechanismus

Und für erheblichen Streit dürfte zudem noch ein Plan sorgen: Die EU-Kommission will nämlich Rüstungskonzerne bei Knappheiten in Europa dazu zwingen, die Munition statt an Staaten außerhalb der EU an die EU-Mitgliedsländer zu liefern.

Lieferungen an Nicht-EU-Länder müssten warten. „Europe First“ hieße also die Devise – dass die gewinnorientierten Rüstungsbetriebe dies wortlos hinnehmen werden, wird in Brüssel massiv bezweifelt.