Politik/Ausland

Nächtlicher Poker um hunderte Milliarden

Weniger zahlen und mehr bekommen – mit dieser Devise kamen die 27 Staats- und Regierungschefs in Brüssel zusammen. Dass diese Formel im Ringen um das EU-Budget für die Jahre 2014 bis 2020 völlig unlogisch ist, war einigen EU-Granden egal – Hauptsache nationale Interessen gehen nicht unter.

Nach stundenlangen Verhandlungen zeichnete sich in der Nacht auf Freitag eine Annäherung im Budgetstreit ab. „Man ist nicht mehr weit auseinander“, sagte Bundeskanzler Werner Faymann – ohne jedoch konkrete Zahlen nennen zu wollen.

Budget-Trickserei

Kurz zuvor hatte allerdings EU-Parlamentspräsident Martin Schulz eine Summe bekannt gegeben, die in Diskussion stand: 960 Milliarden – beim ersten Budget-Gipfel im November hatte Ratspräsident Herman Van Rompuy noch 972 Milliarden Euro vorgeschlagen (siehe Grafik). Diese beiden Zahlen beziehen sich auf die sogenannten Verpflichtungsermächtigungen.

Im Unterschied dazu gibt es noch die tatsächlichen Auszahlungen – nicht jeder Euro wird auch aus Brüssel „abgeholt“. Diese Auszahlungen waren am Abend mit rund 910 Milliarden angesetzt. Briten-Premier David Camerons Forderung war, hier unter 900 Milliarden Euro zu bleiben. Er versuchte, mit allen Mitteln ein Super-Sparbudget durchzuboxen, um zu Hause bei den Tory-Wählern zu punkten.

Dieses System der EU-Budgetierung mit Verpflichtungen und Auszahlungen wurde beim Gipfel von Schulz massiv kritisiert: „Das fördert Intransparenz und Tricksereien.“

Drohgebärde

Der Parlamentspräsident warf Ratspräsident Van Rompuy vor, Cameron nachgegeben und die Rechte der europäischen Volksvertreter missachtet zu haben.

Das Europäische Parlament muss dem Budget zustimmen. Einige Regierungschefs, darunter Kanzler Faymann, verhandelten in der Nacht mit Schulz, um die Europa-Abgeordneten miteinzubeziehen. Sie wollen das Parlament nicht außen vor lassen, aber Van Rompuy sieht das anders.

Seit langem warnt Schulz, das Parlament werde dem Budget nicht zuzustimmen, wenn es den zukünftigen Herausforderungen nicht entspricht. Und er hat einen mächtigen Unterstützer: Den Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, den Franzosen Joseph Daul.

Stimmen die Abgeordneten dem Finanzrahmen nicht zu, wird das Budget 2013 fortgeschrieben. Gibt es überhaupt keine Budget-Einigung, müsste man statt dem siebenjährigen Finanzrahmen zu jährlichen Budgets übergehen – damit wäre die Planbarkeit für langfristige Projekte dahin.

Suche nach Balance

Bei dem Ringen um die Milliarden ging es nicht nur um Streichungen, sondern auch um die balancierte Ausgestaltung des Budgets: Das heißt, wie viel Geld gibt es für die Bereiche Landwirtschaft und Regionalpolitik – und wie viel für neue, zukunftsorientierte Investitionen in Bildung, Forschung und Wettbewerbsfähigkeit.

Politisch stellt sich die Frage so: Wird es ein Budget, das alte Strukturen zementiert, Besitzstände fortschreibt – oder wird es ein Reformhaushalt?

Um der Krise gerecht zu werden, sieht Van Rompuy vier bis sechs Milliarden für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit vor.

Ringen um Rabatte

Faymann beharrte auf österreichische Anliegen: den Rabatt, sowie die ländliche Entwicklung. Rechnen müssen allerdings alle mit einer Rabatt-Reduktion.

Der Stand um Mitternacht: Österreich wird statt 180 nur noch 95 Millionen Rabatt pro Jahr bekommen.

Der Nettobeitrag dürfte trotzdem unter einer Milliarde pro Jahr liegen. 2011 betrug er 805 Millionen.

Bei der ländlichen Entwicklung konnte Faymann bereits im November zusätzlich 700 Millionen Euro für Österreichs Regionen herausschlagen. Dieser Erfolg scheint zunächst nicht in Gefahr.

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Als erster Schritt soll, so will es Ratspräsident Van Rompuy, eine Einigung über die Gesamtsumme des Budgets erzielt werden. Als Nettozahler ist Österreich daran interessiert, dass diese nicht allzu hoch wird. Verbündete sind hier Deutschland, Großbritannien, Schweden, die Niederlande, Dänemark und Finnland. Frankreich ist zwar auch großer Nettozahler, Präsident Hollande will aber nur „moderate“ Kürzungen.

Dem gegenüber stehen die Netto-Empfänger – in erster Linie „neue“ EU-Staaten wie Ungarn, Litauen, Lettland oder Polen, das pro Jahr rund elf Milliarden mehr erhält, als es nach Brüssel überweist.

Die Summe, um die es hier geht, ist im Verhältnis zu den nationalen Budgets gering: zehn bis 20 Milliarden auf sieben Jahre, so viel sollen von den 972 Milliarden, die Van Rompuy im November vorschlug, noch gestrichen werden. Peanuts für die großen EU-Nettozahler.

Bei den Rabatten gibt es mehrere Punkte, die Österreich betreffen. Man kann davon ausgehen, dass der Briten-Rabatt bleibt. Die Milliarden, die den Briten erspart bleiben, müssen von allen anderen Ländern ausgeglichen werden. Österreich zahlt nur 25 Prozent seines Anteils – ein „Rabatt auf den Rabatt“, der 80 Millionen im Jahr beträgt und vertraglich abgesichert ist. Der Rest auf 187 Milliarden Euro Rabatt 2012 ergibt sich aus dem Mehrwertsteuer-Anteil, den Österreich nach Brüssel abliefern muss (0,225 statt 0,3 Prozent). Dieser beträgt rund 100 Millionen pro Jahr – und läuft mit 2013 aus. Deutschland, Schweden und die Niederlande sind in der selben Lage.

Rabatt-Gegner sind Frankreich und Italien, die – obwohl große Nettozahler – keinen Rabatt haben.

Dänemark, das pro Kopf den höchsten Netto-Beitrag zahlt und keinen Rabatt erhäl, will jetzt unbedingt einen Rabatt erhalten.

Bei der sogenannten Ländlichen Entwicklung, auf die Österreich im Agrar-Bereich setzt, sind tiefe Einschnitte vorgesehen. Beim November-Gipfel hieß es, Österreichs Anteil an den Förderungen solle von 4,1 auf 2,9 Milliarden sinken. Kanzler Faymann konnte noch ein Plus von 700 Millionen verhandeln.

Österreich ist hier eher isoliert: Große Staaten setzen mehr auf Direktzahlungen; sie erfordern keine Kofinanzierung aus nationalen Budgets.

Großbritannien, Schweden und die Niederlande wollen einen kleineren Agrar-Topf, um Gelder für Wachstum, Forschung und Entwicklung umzuschichten. Frankreich ist dagegen: „Ohne ausreichende Finanzierung im Agrar-Bereich wird es kein Budget geben“, sagte Hollande.