Politik/Ausland

Briten wollen raus aus der EU, aber alle suchen noch den Ausgang

Im Chor der mahnenden Stimmen hörte sich Bundeskanzler Sebastian Kurz gestern beim EU-Gipfel in Brüssel fast schon optimistisch an: „Ich gehe davon aus, dass wir am Ende des Tages eine Verschiebung hinbringen werden“, sagte er und wiederholte: Ein Aufschub des Brexit sei immer noch die bessere Variante als ein harter, ungeregelter Ausstieg Großbritanniens aus der EU.

Genau eine Woche bleibt noch, ehe das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlassen soll. Doch was bis zum Tag des EU-Gipfels als relativ leicht machbar schien – nämlich den Austrittstag nach hinten zu verschieben – wuchs sich plötzlich zu einem gewaltigen Hindernis aus. Denn plötzlich stellten die EU-Staats- und Regierungschefs eine harte Bedingung: Nur wenn das britische Parlament kommende Woche in einer neuerlichen, dritten Abstimmung das Austrittsabkommen mit der EU annimmt, nur dann soll es eine kurze „technische Verschiebung“ des Brexit geben. Dauer: maximal bis 22. Mai, dem Tag vor den EU-Wahlen.

Druck der EU

Mit einem Ansuchen um Verlängerung reiste auch die britische Premierministerin Thersa May an: Ein Ja des Unterhauses in London zum Deal – und im Gegenzug das grüne Licht Brüssels für eine Verlängerung. Doch warum sollen die britschen Parlamentarier plötzlich annehmen, was sie bisher vehement zurückgewiesen haben?

Die Antwort könnte lauter: Maximaler Druck. Den ließ gestern vor allem Frankreichs Präsident Emanuel Macron spüren: „Wenn die Abgeordneten den Vertrag ablehnen, bedeutet das für alle einen No-Deal, ganz bestimmt“, sagte er. Offen schwang da die Drohung mit: Entweder London findet nächste Woche den Ausweg aus seinem selbst verschuldeten Brexit-Chaos oder es kommt zu einem harten Brexit. Zeit zum Manövrieren bleibt nicht. Der Brexit würde am 29. März um Mitternacht wirksam.

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Weitaus konzilianter gab sich dagegen Deutschlands Kanzlerin Angel Merkel: „Wir werden bis zur letzten Minute alles daran setzen, einen geregelten Austritt Großbritanniens zu erreichen“, sagte sie. Und selbst wenn das britische Parlament nächste Woche bei einer Abstimmung wieder Nein zum Deal sagen sollte, „werden wir weiter Tag für Tag entscheiden, was wir tun können. Ein harter Brexit, das ist etwas, was wir unbedingt vermeiden wollen.“

Und so bleibt als allerletzter Ausweg – ein Sondergipfel der EU unmittelbar vor dem Brexit-Tag. „Dann müssen wir zurückkommen“, antwortete EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker gestern auf die Frage, was passiere, wenn die Briten den Deal abermals ablehnen. Und dann könnten die EU-Staats- und Regierungschefs einer Verschiebung des Brexit um zwei Monate doch noch zustimmen.

Eine harte Grenze

Denn: „Niemand will hier einen ,No-Deal’“, sagte Irlands Ministerpräsident Leo Varadkar. „Irland will keinen ,No-Deal, Europa will keinen ,No-Deal.“ Tatsächlich hat Irland abgesehen von großem wirtschaftlichen Schaden die triftigsten Gründe einen harten Brexit zu vermeiden. Denn in diesem Fall würde in der Nacht von 29. auf 30. März Schlag Mitternacht eine harte Grenze entstehen – quer durch die irische Insel.