Brexit-Verhandlungen: "Es wird ein minimalistischer Deal sein"
Und sie bewegen sich doch – die schwierigen Verhandlungen zwischen EU und Großbritannien. Diese Woche verhandeln die Teams von EU und der britischen Regierung in London. Daniel Dalton, Chef der britischen Handelskammer in Brüssel, ist optimistisch, dass bis Jahresende ein zumindest „minimalistisches Abkommen“ über die künftige Zusammenarbeit zwischen EU und London stehen wird.
KURIER: Gibt es bei den Verhandlungen denn schon greifbare Fortschritte?
Daniel Dalton: Die Fortschritte kommen viel langsamer als gehofft. Aber dennoch bin ich vertrauensvoll, dass wir bis Jahresende ein Abkommen haben werden. Es wird ein minimalistischer Deal sein, der nur die grundlegendsten Bereiche abdeckt. Aber es ist eben wichtig, dass es einen Deal gibt.
Was soll denn so ein grundlegendes Abkommen regeln?
Es wird die meisten Bereiche betreffen, wo es um den Handel mit Waren und deren Tarife geht. Nahrungsmittel werden wohl darin noch nicht eingeschlossen sein. Und auch die Dienstleistungen und gegenseitigen Anerkennungen – alle diese Fragen wird man in den kommenden zwei, drei Jahren weiter verhandeln müssen und auf dieses bestehende Abkommen draufsetzen. Aber das Wichtigste ist: Die Kooperation zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich muss weiter gehen. Sonst kommt es zu einem echten, tiefen Bruch. Deswegen ist der wahre Grund für die Notwendigkeit eines Abkommen eher politisch als ökonomisch.
Was kommt auf Großbritannien nächstes Jahr zu?
Ob mit oder ohne Deal – zu Jahresende kommt es auf jeden Fall zu einer riesigen Veränderung. Das Vereinigte Königreich wird die Zollunion und den Binnenmarkt verlassen. Mit einem Abkommen wäre es ein sanfterer Übergang. Ohne Deal müssen wir Zölle zahlen und der Marktzugang in die EU ist ein sehr viel schwierigerer.
Was will die britische Wirtschaft von der EU?
Die britische Wirtschaft will einen Deal und ganz sicher keinen No-Deal. Wir möchten eine geregelte Beziehung zur EU haben, mit massiven Zoll- und Tarifreduktionen und mit einem Streitbeilegungsmechanismus. Eine Art Basis-Abkommen ist für die Wirtschaft wirklich, wirklich wichtig, denn wir brauchen Planungssicherheit. Wir haben mit der Coronakrise ohnehin schon einen schweren ökonomischen Schlag erlitten.
Ist es völlig ausgeschlossen, dass die bis Jahresende geltende Übergangszeit nicht doch noch einmal verlängert wird – auch wenn Premier Johnson das derzeit ablehnt?
Das wäre vielleicht gesetzlich möglich, aber politisch sehr schwierig. Das würde Großbritannien in seiner Verhandlungsposition schwächen.
Werden viele britische Unternehmen aus Großbritannien in die EU abwandern?
Das kann man noch nicht sicher sagen. Bisher gab es keine große Absetzbewegung. Die meisten Unternehmen warten ab und schauen mal, was kommt.
Warum stemmt sich London so sehr gegen den Europäischen Gerichtshof?
Für die britische Seite ist der EuGH als höchster Streitschlichter inakzeptabel. Der EuGH vertritt die Seite der EU. Deswegen können wird uns nicht darauf einlassen, dass der EuGH bei jedem Streitfall das letzte Wort hat. Aber ohne ein unabhängiges Gericht geht es nicht. Wir pochen deshalb auf ein unabhängiges Streitschlichtungsverfahren, auf ein neutrales Gericht. Aber in dieser Richtung sind die Verhandlungen noch nicht viel weiter gekommen.
Erwarten Sie von europäischer Seite mehr Pragmatismus?
Ja, vor allem in der Fischereifrage. Was die gemeinsamen Spielregeln und den fairen Wettbewerb („level playing field“) betrifft, hoffe ich auf beiden Seiten auf mehr Pragmatismus.
Die EU hat will ja verhindern, dass Großbritannien mit gelockerten Regeln den gemeinsamen Binnenmarkt unterläuft.
Auf der europäischen Seite herrscht die Sorge vor, dass Großbritannien einseitige Vorteile haben will. Aber diese Idee ist einfach falsch. Die Briten sind keine Bedrohung für den europäischen Binnenmarkt. Wir wollen tariffreien Zugang zum EU-Markt, aber wir wollen auch unseren eigenen Markt frei gestalten.
Und was die gemeinsamen Regeln betrifft: Wir haben ja in Großbritannien noch die gleichen Standards wie die EU, was etwa Umwelt, Staatshilfen und soziale Rechte betrifft. Unsere Standards werden nicht schlechter werden. Und was die Staatsbeihilfen angeht, so ist Großbritannien sowieso ein Land, das sie viel weniger eingesetzt hat als die meisten EU-Staaten.
Aber im Grunde geht es bei den Verhandlungen nicht so sehr um die Frage der Standards, sondern um des Vertrauens. Auf beiden Seiten ist davon viel mehr nötig, um die Gegenseite wirklich zu verstehen.
Lässt sich so viel Vertrauen bis Ende Oktober aufbauen, um einen Deal zu schaffen?
Eine Einigung wird auf alle Fälle erst im allerletzten Zeitpunkt getroffen werden.
Und was würde passieren, wenn es keinen Deal gibt?
Ein No-Deal? Das wäre ein Desaster, das würde in allen Bereichen riesige Zerstörung hinterlassen. Und die Gründe, warum es zu keiner Einigung gekommen ist, wären dann ja auch nicht so schnell zu beseitigen: Misstrauen und die Angst. Es wäre schlecht für die Politik und fürs Geschäft.