Bosnier trauern um David, der in Wiener Neustadt begraben wird
Von Elke Windisch
Gefoltert, ermordet, begraben, exhumiert und nach Wiener Neustadt überführt. Am Freitag wird David Dragičević aus Banja Luka auf Wunsch seiner Eltern zum zweiten Mal beigesetzt. In Österreich, das der Mutter zur zweiten Heimat wurde.
Der 21-jährige Informatik-Student wurde zuletzt in der Nacht zum 18. März 2018 gesehen. Sechs Tage später fand man seine Leiche in einem Bach.
Die Polizei erklärt den Tathergang so: David sei nach einer Schlägerei in den Bach gefallen oder gestoßen worden und ertrunken. Seine Eltern dagegen sprechen von Mord, machen die Polizei dafür verantwortlich und berufen sich auf den ersten, auf mysteriöse Weise verschwundenen Obduktionsbericht, in dem von „Spuren massiver Gewalt die Rede“ war. Auch der Fernsehjournalist Željko Radić, der seit Monaten zu dem Fall recherchiert, hält die Version der Eltern für glaubwürdiger.
David habe als Programmierer für Unternehmen gejobbt, die den Kindern einflussreicher Politiker gehören. Darunter Nachtklubs, in denen auch Drogen gedealt werden. Weil David die Kooperation verweigerte, hätten Polizisten ihn gekidnappt, gefoltert, um ihn gefügig zu machen, und dann, weil sie nicht wussten, was sie mit ihm machen sollten, ermordet.
Massenproteste
Das glauben auch die Menschen in Banja Luka. Schon am 26. März gab es die ersten Proteste auf dem zentralen Platz. Als David am 7. April 2018 das erste Mal begraben wurde, kamen bereits mehrere Tausend. Bald gab es Solidaritätskundgebungen in der Landeshauptstadt Sarajevo und in den Hochburgen bosnischer Gastarbeiter: Belgrad, Zagreb, München und Wien.
Auch der Westen wurde hellhörig. Zumal im Juni ein Journalist von der Polizei in Banja Luka krankenhausreif geschlagen wurde. Er hatte über die Proteste berichtet, an denen sich inzwischen über 30.000 Menschen beteiligten: Serben, Muslime und Kroaten.
Ein Hauch von Nation Building ging durch das zerrissene Land. Als die Protestler neben objektiver und lückenloser Aufklärung der Causa David auch den Rücktritt von Innenminister Dragan Lukač forderten, lagen bei der Regierung die Nerven blank. Am 25. Dezember räumten bis an die Zähne bewaffnete Spezialeinheiten der Polizei den zentralen, von den Protestlern inzwischen nach David benannten Platz mit Gewalt.
Unter den Festgenommenen waren oppositionelle Abgeordnete und Davids Vater Davor Dragičević. Der Vorwurf: Versuch, die verfassungsmäßige Ordnung zu stürzen. Zwar kamen die Arretierten nach 24 Stunden wieder frei. Doch Davids Vater sieht wegen der Staatsstreich-Vorwürfe sein Leben bedroht und tauchte ab.
Seither kommen nur noch Hardcore-Protestler. Aber sie kommen. Jeden Abend. „Als wir anfingen, waren wir auch nicht mehr“, sagt Vesna. Käme Davids Vater zurück, glaubt Fernseh-Mann Radić, „wären morgen Abend wieder 30.000 auf der Straße“.
Dem Vater wird geglaubt
Davor Dragičević, sagt Radić, sei für die Massen einer der Ihren und daher glaubwürdig. Der Opposition, die versucht, aus den Protesten eigenes Kapital zu schlagen, würden die Menschen gründlich misstrauen. Davids Vater wolle aber nur Gerechtigkeit für seinen Sohn. Für sozialen oder gar politischen Protest sei er nicht bereit.
Die Menschen in Banja Luka schon. Sie hätten Nationalisten und Kriegstreiber in der Stadtregierung schon vor zwanzig Jahren abgewählt. „Hier“, so Radić, „werden Veränderungen für das ganze Land ihren Anfang nehmen. Mit neuen Politikern, die im Rhythmus des 21. Jahrhunderts ticken, Bildungsmisere, Notstand im Gesundheitswesen und Massenarbeitslosigkeit beenden.“ Anderenfalls sei die Massenflucht nicht zu stoppen.
Fast jeder Zehnte im arbeitsfähigen Alter hat das Land schon verlassen. Auch Hardcore-Protestlerin Vesna. Anfang Februar nahm sie einen Job als Putzfrau in Österreich an, wo der Sohn studiert und Ehemann Miodrag als Hausmeister arbeitet. Da krieg ich mehr Geld als in meinem Beruf.“
Vesna ist Diplomkrankenschwester und verdient in Bosnien 400 Euro pro Monat.