Bosnien-Herzegowina soll nach Ukraine nächster EU-Beitrittskandidat werden
Als heuer im Spätfrühling klar wurde, dass die Ukraine – ein Land mitten im Krieg – ein offizieller Kandidat für den EU-Beitritt werden würde, da tönte es sogleich aus Wien: Dann müsse auch Bosnien-Herzegowina den Status eines EU-Kandidaten erhalten, forderte die österreichische Regierung. Bundeskanzler Karl Nehammer sprach anfangs gar von einem „Junktim“: ein Ja zum Beitrittswerber Ukraine gäbe nur, wenn auch Sarajewo die Zutrittskarte erhält.
Es kam anders, das „Junktim“ verschwand spurlos, die Ukraine und auch die bitterarme kleine osteuropäische Republik Moldau sind seit Ende Juni Kandidatenländer für einen EU-Beitritt.
Nun auch Bosnien
Nun soll auch Bosnien den erhofften Schub erhalten: Am Dienstag empfahl die EU-Kommission in Brüssel, der Balkanrepublik den Kandidatenstatus zu gewähren. Begründung: Das 3,3 Millionen Einwohner zählende Bosnien haben bei Reformen „substanzielle Fortschritte“ erzielt.
Nehammer sieht darin einen "Meilenstein: „Österreich hat seine besondere Verantwortung für den Westbalkan seit jeher aktiv gelebt. Wir sind Brückenbauer für die Länder des Westbalkans und haben in den europäischen Gremien immer schon stark für die Annäherung an die Europäische Union gekämpft. Dass der Kandidatenstatus für Bosnien und Herzegowina heute von der EU-Kommission in ihrem Bericht nach dem Modell der Ukraine vorgeschlagen wird, ist für uns ein großer Erfolg."
Die meisten Bewohner spüren von diesen Reformen zwar wenig, politisch ist das Land zwischen den Ethnien zerstritten, wirtschaftlich am Boden, der bosnisch-serbische Teil des Landes droht immer wieder mit Abspaltung.
Doch wie schon im Fall der Ukraine gilt die Zuerkennung des EU-Kandidatenstatus vor allem als politisch-symbolisches Signal: Es bedeutet, das Land in den europäischen Einflussbereich hereinzuholen – und Rivalen wie Russland oder China hintan zu halten. Es bedeutet aber auch hohe finanzielle Zuwendungen in Form von sogenannten Vorbeitrittshilfen für das Kandidatenland.
Auf der Wartebank
Nur acht Jahre nach dem verheerenden Krieg in Bosnien (von 1992- bis 95) wurde Sarajewo erstmals ein EU-Beitritt in Aussicht gestellt. 2016 stellte das Land sein Beitrittsansuchen. Und von nun an wird Bosnien wie alle anderen EU-Beitrittskandidaten auch noch viele weitere Jahre auf der Wartebank bis zu einem echten Beitritt sitzen müssen. Denn für einen Beitritt sind gewaltige Erfordernisse zu erfüllen:
Die gesamte EU-Rechtssprechung muss übernommen werden, wirtschaftlich muss Bosnien in der Lage sein, sich in den EU-Binnenmarkt einzuklinken und vor allem müsste sein Justizsystem alle Stücke eines unabhängigen Rechtsstaates spielen. Von all diesen Bedingungen ist das Balkanland scheinbar unerreichbar weit entfernt.
Türkei - "Von der EU entfernt"
Am längsten verharrt das Kandidatenland Türkei auf der Wartebank vor der EU: Seit 23 Jahren ist das Land Kandidat – doch ein Beitritt gilt als unwahrscheinlicher denn je. Seit 2016, dem Jahr des Putschversuches, sind alle Verhandlungen eingefroren. Und auch im gestern präsentierten Fortschrittsbericht der EU-Kommission heißt es: „Die Türkei hat den negativen Trend, sich von der EU zu entfernen, nicht umgekehrt. Es gibt ernsthafte Rückschritte in den Bereichen Demokratie, Rechtsstaat, Grundrechte und Unabhängigkeit der Justiz.“
Aber auch die anderen Kandidatenländer auf dem Balkan dürfen sich keine Hoffnungen auf einen Beitritt machen. Serbien verhandelt seit zehn Jahren, Montenegro seit zwölf Jahren mit Brüssel. Bisherige Verhandlungsergebnisse: minimal.
Nach jahrlangem Warten erhielten heuer schließlich auch Albanien und Nordmazedonien den Status eines EU-Kandidatenlandes