Politik/Ausland

Berlin wählt (schon wieder) – aber wen?

Mit Wahlwiederholungen kennt sich Österreich aus. Für Deutschland ist die Wiederholung der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus allerdings Neuland.

Nochmal ein kurzer Blick zurück: Am 26. September 2021 macht Berlin seinem Ruf als unregierbare, chaotische Hauptstadt alle Ehre: Zwei Wahlen (Bundestag und Landesparlament), eine Volksabstimmung über die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne und der Berlin Marathon am selben Tag sorgten für stundenlange Warteschlangen vor den Wahllokalen, fehlende Stimmzettel und verspätete Stimmabgaben. Das Landesgericht hat daher die Wahl zum Abgeordnetenhaus für ungültig erklärt; heute Sonntag waren 2,4 Millionen Berliner aufgerufen, noch einmal ihre Stimme abzugeben. Rund 40 Millionen Euro kostet die Wahlwiederholung übrigens den deutschen Steuerzahlern.

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Die Beteiligung der Wahl zum Abgeordnetenhaus dürfte weitaus geringer ausfallen aus vor eineinhalb Jahren: Die damaligen 75,4 Prozent waren jedoch, so Experten, der zeitleich stattfindenden Bundestagswahl geschuldet. Um 12.00 Uhr lag die Wahlbeteiligung bei 23,4 Prozent, wie die Landeswahlleitung am Sonntag mitteilte. Besser vergleichbar sei sie mit jener von 2016: Da lag sie zum gleichen Zeitpunkt bei 25,1 Prozent.

Die amtierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), die derzeit mit Grüne und Linke regiert, hat in ihrem Wahllokal in Friedrichshain ihre Stimme abgegeben. Gegenüber den Medien versicherte sie anschließend, "die Sozialdemokratie hat alles getan, damit diese Wahl gut vorbereitet ist". Die Abstimmung in den 2.257 Berliner Wahllokalen verlaufe bisher ruhig, hieß es bei der Landeswahlleitung. Die Berliner Polizei sichert die Wiederholungswahl nach eigenen Angaben mit bis zu 1.700 Einsatzkräften ab.

Der Berliner Wahlforscher Thorsten Faas warnte vor einer vorschnellen Bewertung von Komplikationen. Jede minimalste Komplikation werde "vermutlich minutiös berichtet" und möglicherweise auch skandalisiert, schrieb Faas am Sonntag auf Twitter. Er empfahl: "Bisschen locker bleiben." Wichtig sei aber abzuwarten, wie es sich insgesamt entwickle, und dann die Situation zu bewerten.

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CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner kam mit Partnerin zur Stimmabgabe in die Grundschule am Ritterfeld. Wegner will nach der Wahl den Bürgermeister stellen: In allen Umfragen vor der Wahl lag die CDU auf dem ersten Platz vor der SPD – zum ersten Mal, seit die Sozialdemokraten der Union die deutsche Hauptstadt vor 22 Jahren weggeschnappt hatten. 

Dem ZDF-Politbarometer, das am Donnerstagabend veröffentlicht wurde, lag die CDU mit 25 Prozent vor der SPD (21 Prozent). Die Grünen stürzten im Vergleich zu den Prognosen im Jänner ab und lagen bei 17 Prozent. Die Linke wurde auf 11, die AfD unverändert auf 10 Prozent geschätzt. Die FDP würde der Umfrage zufolge nur knapp den Einzug ins Landesparlament schaffen (6 Prozent).

Zur Erinnerung: 2021 holte die SPD 21,4 Prozent, dahinter kamen die Grünen mit 18,9 Prozent, auf dem dritten Platz die CDU mit 18 Prozent. Die Linke kam auf 14,1 Prozent, die AfD auf 8 Prozent, die FDP auf 7,1 Prozent.

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Giffeys Koalitionspartnerin und Grüne-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch nutzte die Stimmabgabe am frühen Morgen in Wilmersdorf für ein Selfie mit ihrem Mann.

Wohnraum und Silvesterkrawalle dominierten Wahlkampf

Hauptthemen im Wahlkampf, in dem auch Risse zwischen den bisherigen Koalitionspartnern SPD und Grüne deutlich wurden, waren Wohnungsbau und Mieten, die Modernisierung der Verwaltung sowie die Klima- und Verkehrspolitik. Nach den Silvesterkrawallen mit Angriffen auf Polizisten und Rettungskräfte wurde heftig über Jugendgewalt, Täter mit Migrationshintergrund und Integrationsprobleme diskutiert. Zudem stritten die Parteien über die Umsetzung des Volksentscheids für eine Enteignung großer Wohnungskonzerne 2021. Das Thema könnte bei Koalitionsverhandlungen nach der Wahl eine große Rolle spielen.

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Trotzdem gilt eine Fortsetzung der Koalition Rot-Grün-Linke als wahrscheinlich. Die CDU könnte also trotz eines Wahlsiegs am Ende leer ausgehen. Jarasch präferiert nach eigener Aussage eine Fortsetzung der bisherigen Koalition; sollte sie doch auf dem zweiten Platz vor der SPD landen, dann allerdings unter ihrer Führung. Die SPD und Giffey wiederum trafen keine Koalitionsaussage.

Die Angst vorm "Wahl-Klau"

Bei einem Sieg dürfte die CDU den Regierungsanspruch stellen. Bereits in den letzten Tagen vor dem Wahlsonntag warnte sie vor einem "Wahl-Klau" von SPD und Grüne. Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach von der Freien Universität Berlin betonte vor der Wahl im KURIER-Interview, es sei völlig normal, "dass sich in einer Demokratie parlamentarische Mehrheiten auch ohne der Siegerparte einer Wahl bilden". Die Vergangenheit gibt Reuschenbach recht: 1969 wurde Willy Brandt trotz vorangegangenen Wahlsieges der Union (CDU: 46,1 Prozent; SPD: 42,7 Prozent) anschließend Bundeskanzler. Helmut Schmidt tat es ihm bei der darauffolgenden Wahl 1976 gleich und wurde trotz CDU-Sieg (48,6 Prozent; SPD: 42,6 Prozent) ebenfalls zum Kanzler wiedergewählt.

Übrigens ist auch nach heute Abend die Pannenwahl von 2021 noch nicht ganz vergessen und wiedergutgemacht: Denn theoretisch könnte die Wahlwiederholung nachträglich noch gekippt werden. Nach einer Beschwerde über die Wahlwiederholung will das Bundesverfassungsgericht bis 2. März die Entscheidung des Landesgerichts und damit die Rechtmäßigkeit der Wiederholungswahl nochmal eigenständig prüfen. Die Kippung der Wahl sei aber extrem unwahrscheinlich, sagen Experten.