Türkei kommt EU-Beitritt näher
Nach drei Jahren Stillstand kommt Bewegung in die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei: Die EU-Außenminister einigten sich am Dienstag darauf, bei einer Beitrittskonferenz in zwei Wochen das Kapitel 22 zu Regionalpolitik zu eröffnen. Dies hätte schon im Juni geschehen sollen und wurde wegen der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste in Istanbul verschoben. Es ist ein kleiner Schritt vorwärts in den Verhandlungen, die seit 2005 laufen und nur schleppend vorankommen. Erst eines von 35 Kapiteln wurde – während des österreichischen EU-Vorsitzes 2006 – abgeschlossen. Mehrere liegen wegen des Zypern-Konflikts auf Eis.
Frankreich hat erst zu Beginn des Jahres sein grundsätzliches „Nein“ zu einem Beitritt der Türkei gelockert und damit die Eröffnung neuer Kapitel ermöglicht.
Der neue Anlauf der EU lässt die türkische Bevölkerung kalt. Die EU-Befürworter verlieren an Terrain, nur mehr 40 Prozent sind für eine Mitgliedschaft. Zuletzt hat selbst Europa-Minister und EU-Chefverhandler Egemen Bağis im britischen Telegraph geschrieben, „vielleicht treten wir nie bei“.
„Die EU müsste viel mehr Druck auf die Türkei ausüben, Brüssel ist sehr pragmatisch“
Für den Oppositionspolitiker Ülkü Caner von der Republikanischen Volkspartei (CHP) ist die EU für die schlechte Stimmung und die Haltung der Regierung verantwortlich. „Die EU müsste viel mehr Druck auf die Türkei ausüben, Brüssel ist sehr pragmatisch“, sagt Caner zum KURIER. Der Anwalt aus Izmir bezweifelt, ob die konservativ-islamische Regierung unter Premier Recep Tayyip Erdoğan überhaupt der EU beitreten wolle. „Wenn die Beitrittsverhandlungen nicht beschleunigt werden, wird die Türkei die seit 1995 bestehende Zollunion infrage stellen“, so Caner.
Seine Partei, die von Staatsgründer Atatürk 1923 gegründete CHP, verlange den Vollbeitritt der Türkei und eine umfassende Staatsreform. „Ohne Änderung des Wahl- und Parteiengesetzes ist Demokratie nicht möglich. Die Hürde von zehn Prozent muss fallen.“
1959: Die Türkei bewirbt sich um eine Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG).
1963: In Ankara wird ein Assoziierungsabkommen zwischen EWG und der Türkei unterzeichnet. Der Kommissionspräsident betont, dass die Türkei Teil der Europäischen Gemeinschaft sei und eine Beitrittsperspektive habe.
1980: Nach einem Militärputsch in der Türkei wird das Abkommen mehrere Jahre ausgesetzt.
1987: Die Türkei übergibt offiziell ihren Antrag auf Vollmitgliedschaft.
1989: Das Beitrittsgesuch wird wegen der instabilen politischen und wirtschaftlichen Lage der Türkei abgelehnt.
1999: Die EU-Staats- und Regierungschefs erkennen der Türkei den Status eines Beitrittskandidaten an.
2002: Das türkische Parlament bringt umfassende Reformen auf den Weg. Nach ihrem Wahlsieg bekennt sich die konservative Partei AKP von Recep Tayyip Erdogan zur westlichen Ausrichtung der Türkei und einem beschleunigten EU-Beitritt.
2003: Das türkische Parlament verabschiedet ein weiteres EU-Reformpaket, das den politischen Einfluss der Streitkräfte deutlich einschränkt.
2004: Die EU-Kommission empfiehlt die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.
2005: Der EU-Gipfel von Brüssel bestätigt einen Start der Beitrittsverhandlungen. Auf einem Sondergipfel wird das Verhandlungsmandat endgültig beschlossen. Österreich kann sich mit seinen Bedenken nicht durchsetzen.
2005: Die EU und die Türkei nehmen Beitrittsverhandlungen auf.
2006: Im Fortschrittsbericht der EU werden Mängel im Bereich der Meinungsfreiheit und der Abschaffung der Folter aufgeführt.
2007: Bei einer vorgezogenen Parlamentswahl wird die AKP von Regierungschef Erdogan als Regierungspartei bestätigt. Er hält eine Rede und kündigt eine Erhöhung des Reformtempos an.
2009: Egeman Bagis wird zum ersten türkischen Europaminister ernannt. Er leitet von nun an die Beitrittsverhandlungen.
2010: Angela Merkel spricht sich bei einem Staatsbesuch in Ankara gegen den EU-Beitritt der Türkei aus und plädierte stattdessen für eine „privilegierte Partnerschaft“.
2013: Erdogan kritisiert die Haltung der EU und liebäugelt mit einer Aufnahme in Putins "Shanghai Five".
Für die EU-Mitgliedschaft hat die Türkei Angleichungen an die europäischen Standards in 35 wichtigen politischen Bereichen zu erfüllen. Bisher wurde nur ein Kapitel abgeschlossen.
Am Mittwoch präsentiert die EU-Kommission ihre jährlichen Fortschrittsberichte zu jenen Ländern, die sich um die Aufnahme in die Europäische Union bemühen. Dabei wird sie empfehlen, die Gespräche mit der Türkei fortzusetzen, die nach den Unruhen im Frühjahr auf Eis lagen.
Auch Albanien, für das die Kommission heute den Kandidaten-Status vorschlagen dürfte, wollen 61 Prozent nicht in der EU. Einen positiven Wert (55 Prozent dafür) erhielt nur Island, das die Beitrittsverhandlungen aber derzeit ruhen lässt.
„Die Zeichen stehen auf Vertiefung, weniger auf Aufnahme neuer Länder“, sagt ÖGfE-Generalsekretär Paul Schmidt. 86 Prozent halten eine Vertiefung der Zusammenarbeit der aktuellen 28 EU-Mitglieder für „sehr wichtig“ oder „wichtig“.