Politik/Ausland

"Australien kein Beispiel": Kritik an Kurz hält an

Der Vorschlag von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) zur Abschreckung von Flüchtlingen erhitze auch am Montag die Gemüter. Hilfsorganisationen kritisierten, dass die australische Asylpolitik kein Vorbild sein könne. Auch die EU-Kommission sieht das von Kurz ins Spiel gebrachte Vorgehen Australiens gegenüber Bootsflüchtlingen als "nicht ein Modell für uns", wie eine EU-Sprecherin in Brüssel sagte.

Kurz hatte am Wochenende erklärt, Bootsflüchtlinge nach dem Vorbild Australiens rigoros im Mittelmeer abfangen, dann sofort zurückschicken oder auf Inseln wie Lesbos internieren zu wollen. Dort kämen keine illegalen Migranten mehr an und es ertrinke auch niemand mehr. Rettung aus Seenot dürfe kein Ticket nach Europa sein, sagte Kurz. "Wer illegal versucht, nach Europa durchzukommen, soll seinen Anspruch auf Asyl in Europa verwirken."

Australien kein Beispiel für EU-Kommission

Das Beispiel Australiens sei keines, dem die EU folgen sollte, betonte dagegen die EU-Kommission. Die Sprecherin verwies auf die Erfordernisse des internationalen Rechts sowie das Prinzip des "non-refoulement" (Nicht-Zurückweisung) von Flüchtlingen in der europäischen Asylpolitik. Dies "wird sich nicht ändern."

Niessl: "Ankündigungspolitiker"

Kritik kam am Montag aus der SPÖ. Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl sagte im Ö1-"Mittagsjournal", der Außenminister wolle nur "von der eigenen Untätigkeit" ablenken. Er bezeichnete Kurz als "Ankündigungspolitiker". Kärntens Landeschef Peter Kaiser wiederum sieht mehr aufgeworfene Fragen als Lösungen. Julia Herr, die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, erklärte: "Kurz hat jegliche menschenrechtliche Basis verlassen!"

Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) sagte, er kenne die Ideen bisher nur aus den Medien. Er nehme an, dass Kurz diese noch in der Regierung vorstellen werde. Dann könne man sie auch erörtern, so der Sprecher Doskozils abwartend.

Hilfsorganisationen zerpflücken Aussagen

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR als auch andere österreichische Hilfsorganisationen ließen kein gutes Haar am Kurz-Vorschlag. Internierungslager würden keine Menschenleben retten, betonte Rotkreuz-Präsident Gerald Schöpfer. Dies sei "wirklich keine Zukunftslösung für den Flüchtlingsschutz in Europa", sagte auch Christoph Pinter, Leiter von UNHCR Österreich, in der ORF-Diskussionssendung "Im Zentrum" am Sonntagabend. Immerhin handle es sich bei den Geflüchteten zu 60 Prozent um Frauen und Kinder, und diese könne man nicht "irgendwo in ein unsicheres Land" bringen.

Kurz wolle "zuallererst abschotten und menschenunwürdige Zustände herbeiführen, die abschrecken und zermürben sollen", kritisierte die Hilfsorganisation SOS Mitmensch auf ihrer Facebook-Seite. Die Volkshilfe rief Kurz auf ihrer Facebook-Seite auf, "endlich mit dem Herzen zu denken". Abschottung bringe Tote, nicht die Willkommenskultur. "Die Abschottung bringt Geschäft für die Schlepper, nicht eine geordnete Aufnahme", hieß es dort.

Deutschland hält sich zurück

Zurückhaltend reagierte Deutschland. Berlin habe die Medienberichte "zur Kenntnis genommen". Aber: "Konkrete Vorschläge Österreichs zur Beratung in den europäischen Gremien sind uns noch nicht bekannt", sagte der Sprecher von Kanzlerin Angela Merkel. "Das ist eine europäische Diskussion, die zu führen ist im Rahmen der ohnehin anstehenden und wichtigen Diskussion über eine Neufassung des europäischen Asylrechts."

UNHCR: "Einsperren nicht akzeptabel"

Die Idee, Flüchtlinge nicht mehr nach Europa zu lassen, ist nicht neu. Ex-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hatte schon vor einem Jahr die Einrichtung von UNHCR-Anlaufstellen für Flüchtlinge in Nordafrika sowie die Rückschiebung von im Mittelmeer geretteten Migranten dorthin gefordert, um die "Todesfahrten zu beenden". Das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR hatte diesen Vorschlag damals schon zurückgewiesen: "Migranten einfach von Europa fernzuhalten, indem man sie irgendwo einsperrt, ist für uns nicht akzeptabel."

Laut UNHCR sind in diesem Jahr 206.200 Menschen über das Mittelmeer in Europa angekommen, 2.510 Menschen seien bei der gefährlichen Überfahrt ums Leben gekommen oder vermisst. Anders als im vergangenen Jahr, kommen nach Angaben der Vereinten Nationen bisher jedoch vorwiegend Schutzsuchenden aus afrikanischen Staaten nach Italien. Die größten Gruppen sind demnach Nigerianer, Gambier und Somalier. Trotz Schließung der Balkanroute im Frühling sind kaum Syrer, Iraker oder Afghanen unter den Ankommenden.

Was hat Kurz gefordert?

Außenminister Sebastian Kurz hat gefordert, Bootsflüchtlinge abzufangen, sofort zurückzuschicken oder auf Inseln wie Lesbos zu internieren. Ziel sei mehr Abschreckung. Den Hunderttausenden in Nordafrika wartenden Migranten müsse klar werden, dass "die Rettung aus Seenot nicht mit einem Ticket nach Mitteleuropa verbunden ist", sagte der ÖVP-Politiker in der Presse am Sonntag. Vorbild sei dabei Australien, so Kurz.

Warum erwähnt Kurz Australien?

Kurz schlägt vor, die EU sollte sich "Teile des australischen Modells" zum Vorbild nehmen. Dort kämen keine illegalen Migranten mehr an und es ertrinke auch niemand mehr. "Warum? Die australische Marine startete eine Grenzschutzoperation, fing Flüchtlingsboote vor der Küste ab, brachte die Menschen zurück in ihre Ursprungsländer oder in Zentren nach Nauru und Papua-Neuguinea", so Kurz.

Wie geht Australien konkret mit Flüchtlingen um?

Die australischen Behörden verweigern jedem, der nicht aus dem Ausland einen regulären Umsiedlungsantrag gestellt hat, Asyl in Australien. Flüchtlinge, die per Boot etwa über Indonesien versuchen, an Land zu kommen, werden zur Umkehr gezwungen oder in die Internierungslager abgeschoben. Wenn ihnen Asyl zusteht, zahlt Australien andere Länder für die Aufnahme, etwa das bitterarme Kambodscha.

In Australien kommt es seitens der Zivilgesellschaft immer wieder zu Protesten gegen diese rigorisen Maßnahmen. Anfang Mai haben sich zwei Migranten aus Verzweiflung selbst angezündet. Einwanderungsminister Peter Dutton betonte danach, die Regierung bleibe bei ihrer Linie.

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Wie hat die SPÖ auf Kurz reagiert?

Von der Bundes-SPÖ gab es keinen Kommentar.

Verwundert über Kurz' Aussagen hat sich am Sonntag die Wiener Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger gezeigt: "Verfolgte Menschen haben das Recht auf Schutz. Mit Internierungslagern auf den Inseln vor der Europäischen Grenze würden wir dieses Recht abschaffen." Es sei äußerst bedenklich, dass Kurz ein Land vor den Vorhang holt, "dessen Einwanderungsbestimmungen international höchst umstritten sind." Vom Außenminister verlangt Frauenberger: "Kurz muss seine Hausaufgaben machen und die europäische Asylpolitik nicht aufgeben, sondern eine sinnvolle Umsetzung erwirken. Dazu gehört auch, endlich die nötigen Rückführungsabkommen zu verhandeln."

Was sagt die FPÖ?

Als "Gipfel der Unglaubwürdigkeit und Scheinheiligkeit der ÖVP" bezeichnete FPÖ-Generalsekretär und Europaabgeordnete Harald Vilimsky Kurz Aussagen. "Sachlich und inhaltlich hat sich nämlich rein gar nichts an der Willkommenspolitik von SPÖ und ÖVP verändert", polterte Vilimsky in einer Aussendung.

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Wie ist die Lage auf Lesbos?

Die meisten Flüchtlinge im Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos haben Asyl in Griechenland beantragt, um nicht in die Türkei und von dort in ihre Herkunftsländer abgeschoben zu werden. Zwar dürfen sie nur 25 Tage interniert werden, doch danach dürfen sie die Inseln aber auch nicht verlassen, bis über ihre Asylanträge entschieden ist. Hilfsorganisationen haben dies immer wieder heftig kritisiert.

Insgesamt werden bis zu 8.500 Flüchtlinge auf den griechischen Ägäis-Inseln festgehalten. Seit der Schließung der Balkanroute im Februar gelingt nur noch wenigen einen Weiterreise in Richtung Nordwesteuropa. Mehr als 50.000 Flüchtlinge sind aktuell in Griechenland gestrandet.

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Wie reagieren die Griechen auf den Vorschlag?

"Die Griechen selbst sind erneut vor den Kopf gestoßen worden", berichtet ein ORF-Reporter im Ö1-Morgenjournal. Ganz ernst nehme man den Vorschlag hier in Athen nicht, große Internierungslager zu schaffen. Anfang Juni war es, wie berichtet, zu Unruhen in Moria gekommen, Asylwerber aus Pakistan und Afghanistan haben aufeinander eingeschlagen, Zelte gingen in Flammen auf. In Griechenland gehe man derzeit daher den umgekehrten Weg: "Es werden große Lager aufgelöst und kleinere Einheiten gebildet. Damit habe man gute Erfahrungen gemacht."

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