Athen warnt: „Erdoğan will Flüchtlinge schicken“
Es war kurz vor der großen Coronakrise in Europa, als Flüchtlinge und Migranten noch in aller Munde waren. Denn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte – zumindest kurzfristig – Menschen nach Griechenland passieren lassen. Bilder von der Grenze und von Flüchtlingslagern gingen um die Welt.
Und jetzt? Die Krise um die Corona-Pandemie hat die Schlagzeilen über Flüchtlinge weitgehend verdrängt. Bis zum Osterwochenende, als bekannt wurde, dass mehrere Boote vor Malta und Italien im Meer trieben. Die beiden Regierungen haben ihre Häfen wegen der Corona-Krise vor einer Woche gesperrt.
Während Italien nun 156 Migranten auf eine Fähre zur zweiwöchigen Quarantäne bringen und danach auf EU-Länder verteilen will, blieb das Schicksal der Menschen auf den anderen Booten zunächst noch unklar. Rettungsmissionen melden, dass der Kontakt zu zumindest einem der Boote abgebrochen ist.
Gleichzeitig äußerte die griechische Regierung am Dienstag Vermutungen, dass bald wieder mehr Flüchtlinge aus der Türkei kommen könnten: Es gebe Informationen, dass die Türkei eine große Zahl von Migranten aus dem Landesinneren an die Küste der Ägäis gebracht habe, sagte Griechenlands Verteidigungsminister Nikos Panagiotopoulos dem griechischen Nachrichtensender Skai.
Die Richtigkeit dieser Meldung war zunächst nicht überprüfbar. Fakt ist jedoch, dass Griechenland seit Jahren heillos mit der Last der Flüchtlinge und Migranten auf seinen Inseln überfordert ist. Mehr als 40.000 warten auf einen Asylbescheid, allein in dem mittlerweile berüchtigten Lager Moria auf der Insel Lesbos befinden sich knapp 20.000 Menschen.
Und während scheinbar die ganze Welt gegen Corona kämpft, Dutzende Staaten Kontaktverbote und Empfehlungen ausgeben, können sich die Menschen in Moria nicht einmal die Hände waschen. Dort, wo sich jeweils 1.300 Menschen einen Wasserhahn teilen.
„Bald eine Katastrophe“
Einen Mindestabstand einzuhalten sei hier ein Ding der Unmöglichkeit, berichtet Erik Marquardt, EU-Parlamentarier der deutschen Grünen, der sich seit sechs Wochen auf der Insel Lesbos befindet. Er beobachte dort eine „humanitäre Notlage, die schon bald in einer Katastrophe enden kann“, sagt der Deutsche zum KURIER am Telefon.
Auch im Camp Moria versuche man sich auf Corona vorzubereiten, sagt Marquardt. „Geflüchtete haben eine kleine Maskenfabrik auf die Beine gestellt und stellen dort in Akkordarbeit Schutzmasken her.“ Und auch dort informiert man die Menschen über die Gefahren des Coronavirus: „Flyer werden verteilt, auf denen steht, dass man sich regelmäßig die Hände waschen soll, dass man bei Symptomen einen Arzt aufsuchen soll, dass man Abstand halten soll – das alles ist hier kaum möglich.“
Der EU-Politiker Marquardt erzählt, wie drei Mal täglich Tausende Menschen zur Essensausgabe angestellt dicht nebeneinander stehen.
Marquardt hatte – gemeinsam mit der EU-Parlamentarierin Katarina Barley – nach kreativen Lösungen zumindest kurzfristig für Quarantänemaßnahmen gesucht. Doch ein erster Versuch, Kreuzfahrtschiffe eines deutschen Anbieters vor die griechischen Inseln zu stellen, auf denen Flüchtlinge unter hygienischen Bedingungen untergebracht werden könnten, scheiterte an der EU-Kommission.
Man könne genausogut leer stehende Hotels verwenden, hieß es dort. Die Verhandlungen „laufen“, sagt Marquardt, der auch die Hotellösung nicht ausschließen will: Man müsse ohnehin der Tourismusindustrie unter die Arme greifen.