Politik/Ausland

Afghanistan-Abzug legt fatale Schwächen der EU offen

Angesichts des überstürzten Truppenabzugs der USA aus Afghanistan haben es ihre europäischen Verbündeten auf die harte Tour gelernt: Auch sie mussten sich eiligst zurückziehen. Militärisch auf sich alleine gestellt, hätten die europäischen NATO-Soldaten nicht einmal den Flughafen von Kabul sichern können.

Unübersehbar für die ganze Welt steht fest: Militärisch geht für die EU ohne ihren Verbündeten USA kaum etwas. Die europäischen NATO-Partner sind ohne den Taktgeber aus Washington kopflos und nur zum Teil verteidigungsfähig.

Wenig überraschend ziehen Europas Verteidigungsminister deshalb eine bittere Lehre aus dem Afghanistan-Desaster: Die EU muss ihre Abhängigkeit von den USA verringern und selbst mehr militärische Schlagkraft entwickeln.

Papiertiger

Ein erster möglicher Schritt dahin: eine gemeinsame „Schnelle Eingreiftruppe“ aus Europa. Diese Idee, die die Verteidigungsminister bei ihrem Treffen im slowenischen Kranj gestern diskutierten, ist alles andere als neu. Schon vor zwanzig Jahren wurde der Plan entwickelt, bis zu 60.000 Mann starke Truppen binnen zwei Monaten zu bilden.

2007 schließlich wurden zwei jeweils 1.500 Mann starke nationale „Battle Groups“ aufgestellt. Diese kampfbereiten Truppen hätten jederzeit bei Krisen blitzartig zum Einsatz kommen können. Das aber geschah noch nie, bisher blieb die „Schnelle Eingreiftruppe“ ein Papiertiger.

Politische Entscheidung

Österreichs Verteidigungsministerin Claudia Tanner gab zu bedenken: „Es geht nicht um die Fähigkeiten, die diese Einsatztruppe schon jetzt hat, sondern um die politische Entscheidung, die zum richtigen Zeitpunkt rasch getroffen werden muss.“ Oder anders gesagt: Wann und wohin und mit welchem Ziel werden diese europäischen, kämpfenden Soldaten tatsächlich ins Feld geschickt?

Für solch einen Einsatzbefehl fehlt es noch an vielem: Es gibt weder eine europäische Sicherheitsdoktrin noch eine europäische Kommandozentrale und schon überhaupt gar keine europäische Armee.

Derzeit beharrt jeder europäische Staat auf seine eigene, souveräne Armee. Dass etwa Frankreich, die einzige Atommacht der EU, bereit sei, seine Truppen anderen europäischen Armeen unterzuordnen, halten die meisten Militärexperten für ausgeschlossen. Andere EU-Staaten wiederum stehen auf der Bremse, wenn sie Frankreichs Militäreinsätze in deren ehemaligen Kolonialregionen sehen.

Die osteuropäischen Staaten, die immer noch auf den Schutz der Vereinigten Staaten vertrauen, sind wiederum besonders skeptisch. Sie befürchten eine Schwächung der NATO, wenn die EU ihre eigenen militärischen Fähigkeiten ausbaut.

Gemeinsame europäische Verteidigungsinitiativen kamen deshalb bisher nur in Trippelschritten voran. An den 46 so genannten PESCO-Projekten beteiligt sich auch Österreich. Jedes dieser Projekte zielt darauf ab, die militärische Zusammenarbeit in der EU zu verbessern.

Zudem gibt es einen europäischen Verteidigungsfonds. Über diesen soll die gemeinsame Forschung und Rüstungsbeschaffung gefördert werden.