Politik/Ausland

AfD-Mann abgewählt: Keine Angst mehr vor rechter Taktik

Seit die AfD mit 92 Abgeordneten, zehn davon weiblich, im Bundestag sitzt, wurde viel über den Umgang mit ihr diskutiert: Nicht übers jedes Stöckchen springen; man müsse ihr alle zustehenden Positionen wahrnehmen lassen; sie inhaltlich stellen. Nutzt die AfD doch jede Gelegenheit, um sich als Opfer zu stilisieren. Es folgten also harte Debatten mit Zwischen- und Ordnungsrufen, der Ton im Bundestag wurde rauer.

Sollte je wer gedacht haben, ihre Vertreter würden sich durch Parlamentarismus mäßigen, hat er sich geirrt. Das zeigt auch der Fall Stephan Brandner. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag wurde nun mit den Stimmen aller Fraktionen - bis auf die der AfD - abgewählt. Es ist das erste Mal in der 70-jährigen Geschichte des deutschen Parlaments, dass ein Ausschussvorsitzender gehen muss.

Er wollte Merkel "in den Knast" stecken

Dass der 53-jährige Politiker aus Thüringen in diese Position kam, liegt daran, dass der AfD wie allen anderen Parteien Ausschüsse zustehen; neben jenen für Recht besetzen sie auch Haushalt und Tourismus. Brandner wurde im Jänner 2018 mit 19 Ja-Stimmen und zwölf Nein-Stimmen bei zwölf Enthaltungen gewählt, obwohl es Vorbehalte gab. Noch vor seinem Einzug in den Bundestag fiel der Jurist und Vertraute des Rechtsaußen Björn Höcke damit auf, Angela Merkel "in den Knast" stecken zu wollen. Den damaligen Justizminister Heiko Maas nannte er ein "Ergebnis politischer Inzucht im Saarland".

Wegen seines Stils wurde der ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen stammende Brander auch im thüringischen Landtag zwei Mal von Sitzungen ausgeschlossen und kassierte binnen drei Jahren 32 Ordnungsrufe, die er stolz auf seiner Webseite auflistete. Bei seiner Wahl für den Vorsitzendenausschuss im Jänner 2018 kokettierte er damit, zu glauben, "dass er relativ wenig Skandale machen werde" - und setzte sein Programm aus Provokation und Tabubruch konsequent fort.

Schäuble griff ein

Im Bundestag versuchte man die Ausfälle zunächst klein zu halten, um ihm keine Bühne zu verschaffen. Als er bei der Wahl von Angela Merkel zur Kanzlerin einen unausgefüllten Stimmzettel auf Klopapier fotografierte und twitterte, soll laut Spiegel der Ältestenrat beraten haben, wie damit umzugehen sei, ohne großes Aufsehen zu erregen.

"Ich wünsche mir, dass das Niveau nicht weiter absinkt", klagte damals Parlamentsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU). Den richtigen Ton und Umgang mit der Rechtspartei zu finden, fiel einigen schwer. Andere probierten es mit Wutreden. Bekannteste Beispiele: Cem Özdemir (Grüne) und Martin Schulz (SPD).

Eingreifen musste letztlich auch der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Als der AfD-Politiker Brandner im Mai 2019 bei der Debatte über 70 Jahre Grundgesetz dem auf der Tribüne sitzenden Bundespräsidenten Frank-Walter-Steinmeier vorwarf, er trage dazu bei, dass der Rechtsstaat erodiere, schritt Schäuble ein: "Herr Kollege Brandner, der Bundespräsident ist unser aller Staatsoberhaupt. Wenn er uns die Ehre antut, an unserer Debatte teilzunehmen, ist es nicht für Sie die Gelegenheit, ihn zu kritisieren. Bitte unterlassen Sie das", mahnte er.

Hashtag "Judaslohn"

Aber Brandner konnte es wie so oft nicht bleiben lassen. Auch mit seinen Reaktionen auf den Terroranschlag in Halle, wo er ungustiöse Tweets verbreitete. So schrieb einer, die Opfer von Halle wären "eine Deutsche, die gerne Volksmusik hörte", und "ein Bio-Deutscher" gewesen. "Warum lungern Politiker mit Kerzen in Moscheen und Synagogen rum?" Der Ausschuss stellte sich daraufhin offen gegen seinen Vorsitzenden. Später entschuldige er sich zwar dafür im Bundestag, löste aber kurz darauf den nächsten Eklat aus.

Via Twitter griff er den mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Rocksänger Udo Lindenberg an, der die AfD nach ihrem Wahlerfolg in Thüringen scharf kritisierte. Brandner drückte in die Tasten und versah die an Lindenberg verliehene Auszeichnung mit dem Hashtag "Judaslohn" - was Brandner aber nicht als antisemitisch verstanden haben wollte - den Begriff hätte er nur zugespitzt, erklärte er. Damit war das Maß endgültig voll.

Was nun?

"Die Abberufung von Brandner ist ein klares Signal gegen Hetze und Hass - wir geben dem Amt damit endlich seine Würde zurück", erklärte der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jan-Marco Luczak. "Brandner hat weder menschlich noch politisch die notwendige Eignung für den Vorsitz im Rechtsausschuss", sagte Johannes Fechner von der SPD.

Auch der Deutsche Anwaltsverein begrüßte die Entscheidung. "Es kann nicht sein, dass das Recht und dieser gesellschaftlich wichtige Ausschuss von einer Person repräsentiert wird, die andere Menschen beleidigt, diffamiert und Ressentiments gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen schürt. Es ist nicht vorstellbar, dass Herr Brandner den Ausschuss weiterführt", so der Hauptgeschäftsführer Philipp Wendt zur dpa.

Und was sagt der Abgewählte dazu? Er wolle im Rechtsauschuss weiterarbeiten, erklärt er beim Pressestatement mit Fraktionschefin Alice Weidel und Vorsitzenden Alexander Gauland. Dann sprach er von "Unwahrheiten", "Altparteien-Koalition" und gab die gewohnte Opferrolle - vor der allerdings niemand mehr Angst zu haben scheint.