Politik/Ausland

Absturz gestoppt? So will Erdoğan die Lira retten

Als ehemalige Hauptstadt des Osmanischen Reiches und heute an der Grenze zu Bulgarien und Griechenland gelegen, ist Edirne ein wichtiger Handelsplatz. Besucher aus den Nachbarländern kommen seit jeher in die westlichste Großstadt der Türkei, um durch den historischen Basar zu streifen oder den Wochenmarkt zu besuchen.

In der jüngsten Zeit hat sich der Zustrom, vor allem aus Bulgarien, allerdings deutlich erhöht. Bis zu 20.000 Menschen reisen jede Woche nach Edirne, in privaten PKW oder mit Bussen. Bis zum Jahreswechsel sind die Hotels der Stadt ausgebucht.

50 Prozent Inflation

Grund ist die Krise der türkischen Landeswährung, die Lebensmittel, Elektronik und Kleidung für Ausländer so günstig macht wie nie. „Hier sind 15 Cent einen Euro wert“, zitiert die Neue Zürcher Zeitung einen Touristen aus dem gut zwei Fahrstunden entfernten Plowdiw. „Die Reise hat sich gelohnt.“

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Was Besucher wie Mitko freut, ist für die Türken eine Katastrophe. Das Geld reiche fast nur noch für Essen, hört man nicht nur in Edirne. Die Preise steigen und steigen: Laut nationalem Statistikamt lagen sie im November 21 Prozent höher als im Jahr davor – was viele für geschönt halten.

So sagte der Bürgermeister von Istanbul, der der oppositionellen CHP angehört, dass die Lebenskosten in seiner Stadt im vergangenen Jahr um über 50 Prozent gestiegen seien. Lange Schlangen vor den Volksbrotläden, in denen es subventionierte Lebensmittel gibt, sorgten in der Bosporus-Metropole für Aufregung.

Die Regierung hat nun Maßnahmen angekündigt, um den Absturz der Lira zu stoppen. Wie Staatschef Erdoğan Montagabend mitteilte, sollen die Ersparnisse der Türken per Staatsgarantie vor Wechselkursverlusten geschützt werden. „Kein Bürger muss von nun an seine Einlagen in ausländische Währungen tauschen“, sagte Erdoğan.

Man werde zudem Exportunternehmen ermöglichen, sich gegen Wechselkursrisiken abzusichern, und einen Steuerfreibetrag für Beamte und Mindestlohnempfänger einführen. Der Staat werde mehr zum Rentensystem beitragen und verzichte bei Dividendenzahlungen auf einen Teil der Steuer, berichtete das Handelsblatt.

Druck auf Notenbank

Ökonomen zufolge ist die Krise hausgemacht. Als Hauptverursacher gilt Erdoğans rigide Tiefzinspolitik in Kombination mit einem Glaubwürdigkeitsverlust der Notenbank.

Erdoğan begründet sein Beharren auf niedrige Zinsen gerne mit dem Zinsverbot im Koran und sagt, dass dadurch die Inflation sinke – was in den Worten eines Welt-Kommentators „jedem Ökonomiestudenten im ersten Semester die Haare zu Berge stehen lässt“. In erster Linie kurbelten niedrige Zinsen die Wirtschaft an – was Erdoğan bei Wahlen helfe.

Dem Staatschef folgend hat die Notenbank in den vergangenen Jahren immer wieder die Leitzinsen gesenkt, was stets zu mehr Inflation und einem einbrechenden Wechselkurs führte. Mehrmals entließ Erdoğan ranghohe Notenbanker, die sich seinem Kurs widersetzten.

Die Lira reagierte auf Erdoğans Ankündigungen mit starken Kursgewinnen (siehe Infobox unter diesem Absatz). Wie nachhaltig die Entwicklung ist, ist laut Experten offen. An den grundlegenden Problemen, einer hohen Inflation bei fallenden Zinsen, ändere sich nichts. Zudem würden die Wechselkursrisiken zwar dem Privatsektor genommen, dafür aber dem Staat aufgebürdet.

„Das Experiment bleibt spannend“, sagten Analysten der Dekabank der dpa. „Erdoğan hat bereits weitere Zinssenkungen eingefordert.“

Präsident Erdoğan verfolgt eine Tiefzinspolitik, die Inflation und Währungsverfall antreibt. Zuletzt tauschten immer mehr Türken Sparguthaben aus Angst vor Wertverlusten in Euro oder Dollar um, was die Lira zusätzlich schwächte.

Die Inflation stieg im vergangenen Jahr offiziell um 21 Prozent (Stand November). Die Lira büßte im laufenden Jahr die Hälfte ihres Wertes ein.

Ein Dollar war am Montag erstmals 18 Dollar wert - bevor Staatschef Erdoğan Maßnahmen zur Eindämmung des Wertverlusts präsentierte. Dienstagmittag waren es dann 13,60 Lira – ein Kurssprung von rund 30 Prozent zum Vortag.