Das schwere Erbe der Kärntner Volksabstimmung: Das Ja zu Österreich blieb unbedankt
Von Konrad Kramar
Die hysterische Propaganda auf beiden Seiten erreichte sie auf ihren Höfen nur gelegentlich, und den Versprechen der Politik schenkten sie nach all den Jahren mit Hunger und Krieg ohnehin kaum Glauben. Kärntens slowenische Bauern hatten ganz praktische Sorgen, als sie im Oktober 1920 ihre Stimme abgaben. Eine Volksabstimmung sollte darüber entscheiden, ob man nun zu Österreich gehören sollte oder zu einem anderen, ebenso gerade erst ins Leben gerufenen Staat: dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, kurz SHS-Staat.
Eine Grenze war gezogen worden, trennte, was bis 1918 Teil der österreichischen Reichshälfte der k.u.k-Monarchie gewesen war. Für die slowenischen Bauern in Unterkärnten war es vor allem eine wirtschaftliche Frage, auf welcher Seite der Grenze sie landen würden. „Für einen slowenischen Bauern in Unterkärnten waren Städte wie Klagenfurt und Villach seine Bezugspunkte“, erläutert der Kärntner Historiker Hellwig Valentin: „Von dort wollte er nicht abgeschnitten werden. Nach Laibach oder Marburg konnte er ja seine Ware nicht liefern.“ Auch fühlten sich die katholischen Slowenen Österreich einfach näher als der Monarchie im fernen Belgrad, die noch dazu vom serbischen Militär dominiert wurde.
Kärntner Slowenen entscheidend
Entsprechend klar fiel das Ergebnis der Volksabstimmung aus: 60 Prozent der Stimmberechtigten in den umstrittenen Gebieten in Unterkärnten sollten sich für Österreich entscheiden, nur 40 Prozent für den SHS-Staat. Entscheidend aber – darüber sind sich Historiker heute einig – waren die Stimmen der Kärntner Slowenen. Jeder Zweite von ihnen hatte sich für Österreich entschieden.
Doch dieses „Ja“ zu Kärnten, die eigentliche Botschaft dieser Volksabstimmung sollte sehr bald unter einem Wust an nationalistischer und zunehmend feindseliger Propaganda verschwinden. Seit dem späten 19. Jahrhundert hatte der Nationalismus Kärnten wie auch die Krain, das heutige Slowenien, befallen. Wo man über Jahrhunderte friedlich zusammengelebt, wo ein slowenischer Bauer seinen deutschsprachigen Nachbarn zumindest einigermaßen verstanden hatte – und umgekehrt – ging es auf einmal um Volk, Nation und Sprache. Deutsche und slowenische Kultur-, Gesangs- und Turnvereine entstehen, in denen es aber weniger um Kultur, sondern vor allem um nationalistische Ideologie geht. Die Gräben zwischen den Volksgruppen werden immer tiefer. Als am Ende des Weltkriegs die Monarchie in Trümmer fällt, sprechen Ideologen auf beiden Seiten bereits vom Kampf auf Leben und Tod.
Keine echten Slowenen
All dieser Hass, diese ungelösten Konflikte kochen nach der Volksabstimmung wieder hoch. Jetzt sind es die Rechten und Deutschnationalen, die das Land spalten – und die slowenische Volksgruppe. Die dividiert man auseinander: In die „Windischen“, die brav für Österreich gestimmt hatten und doch eigentlich gar keine echten Slowenien seien, und jene Verräter, die keine Mitbürger, sondern „Volksfeinde“ seien.
Das alles ist nationalistische Begleitmusik für eine konsequente Aushöhlung der Minderheitenrechte der Slowenen – und die setzt sich auch nach Terror der Nazidiktatur gegen die Kärntner Slowenen in der Zweiten Republik fort. Schon 1918 hatte die Kärntner Landesversammlung den Slowenen das Versprechen gegeben, ihre Rechte zu wahren. Die Zweite Republik verpflichtete sich im Staatsvertrag erneut dazu.
Ein Versprechen, das den Kärntner Slowenen bis heute sauer aufstößt, sollten sie doch um viele ihrer Rechte noch über Jahrzehnte betrogen werden. „Wenn es ein zentrales Trauma der Kärntner Slowenen gibt“, meint Valentin Inzko, Spitzendiplomat und einer der prägendsten Vertreter seiner Volksgruppe, „dann ist es das der immer wieder gegebenen und dann doch gebrochenen Versprechen.“