Die gute Schule, Teil 5
Von Niki Glattauer
Da ist es halt wieder, das neue Zauberwort: Schulautonomie.
über Abweichungen vom Lehrplan
Sonja Hammerschmid1: "In der Hauptschule zeigten meine Lehrkräfte viel Kreativität, um mich in meinen Interessen zu bestärken. Wenn es der Sache dienlich war, wurde auch mal der Lehrplan über Bord geworfen."
Jetzt, 30 Jahre später, sieht die "große Bildungsreform" vor, dass künftig Lehrerinnen autonom bis zu einem Drittel vom Lehrplan abweichen dürfen.
Als würden das gute Lehrerinnen (siehe oben) nicht ohnehin seit jeher tun! Aber da ist es halt wieder, das neue Zauberwort: Schulautonomie. Nur: Autonomie in den Schulen wird so lange nicht funktionieren, solange der Trend zu praxisfremden Überreglementierungen anhält.
Für ein Beispiel wechsle ich von der Schule ins Krankenhaus. Eine mir gut bekannte Krankenschwester, seit 20 Jahren in der Geriatrie, klagt: "Wenn wir früher am Arm einer Patientin eine Schürfwunde entdeckt haben, wurde die Wunde versorgt und der Arzt darauf hingewiesen. Der schrieb ein paar Zeilen Verordnung und fertig. Heute sind wir verpflichtet, die Wunde zu vermessen und zu fotografieren, danach müssen wir Verlauf und Erfolg der Behandlung alle zwei, drei Tage auf einem DIN-A-3-Formular schriftlich dokumentieren. Wir verbringen Stunden damit aufzuschreiben, wer, was, wann, wie getan hat. In dieser Zeit bin ich früher bei der Patientin am Bett gesessen und habe vielleicht festgestellt, dass die Kante der obersten Nachtkasterllade abgesplittert ist, sodass man sich daran aufschürfen könnte …"
In der Schule ist es inzwischen leider ganz genauso:
Seit PISA & Co. wird in den Schulen nicht mehr primär unterrichtet, sondern getestet, getestet, getestet und daneben schulentwickelt, qualitätsgesichert, dokumentiert, evaluiert und dann – archiviert.
Um es mit den Worten des Schriftstellers Egyd Gstättner zu sagen:
"Vor lauter Evaluieren und Dokumentieren kommen die Pflegerinnen nicht mehr zum Pflegen, die Lehrer nicht mehr zum Lehren, die Ärzte nicht mehr zum Behandeln, die Wissenschaftler nicht mehr zum Forschen. (…) Noch nie war in sämtlichen Bereichen des öffentlichen Lebens so oft und so penetrant von, ,Qualität und Kompetenz‘ die Rede, während Qualität und Kompetenz überall dramatisch nachlassen!"