Meinung/Gastkommentar

Es gibt noch viel zu wenig „Plagiatsjägerei“

Auf dem Deckblatt der Diplomarbeit von Andreas Matthä, FH Wien, 2002, findet sich eine von ihm unterzeichnete Versicherung: Er habe „andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt“. In meinem 63-seitigen Gutachten, das ich hier veröffentlicht habe, habe ich detailliert nachgewiesen, dass Andreas Matthä von mindestens sechs Quellen zum Teil absatz- bis seitenweise plagiiert hat, ohne diese an irgend einer Stelle seiner Diplomarbeit zu erwähnen. Auch nicht im Literaturverzeichnis. Damit steht Matthäs Handeln im Widerspruch zu seiner unterfertigten Versicherung: Das war auch schon 2002 unerlaubt, und das war schon 1960 so.

Einmal handelt es sich um ein bundesdeutsches Skriptum aus dem Wintersemester 1998/99 eines Thomas Wällisch, das bis heute online ist. Dieses hat Matthä seitenweise geplündert, inklusive der Schaubilder. Die Textforensik spricht eine eindeutige Sprache, weil Matthä Kommafehler und Typos von Wällisch unredigiert mit übernommen hat. Die Schaubilder finden sich in der Lehrbuchliteratur durchgängig anders als bei Wällisch. Man muss nur genau hinschauen.

Ein anderes Mal handelt es sich um eine erneut bundesdeutsche Diplomarbeit aus dem Jahr 1999, die bis heute auf einer Diplomarbeitenbörse zum Kauf angeboten wird. Die weiteren Beispiele kann jeder selbst im Gutachten nachlesen.

Auf einer Linie mit Coronaleugnern

Wenn nun FH-Lektor Schellmann – aus welchen Gründen auch immer – all diese Tatsachen leugnet oder auch nur relativiert, befindet er sich auf einer Linie mit Coronaleugnern und Querdenkern. Wir können in der Wissenschaft nur von Evidenz ausgehen. Alles andere ist Hokuspokus. Warum macht der FH-Mitarbeiter das? Sehen wir uns seine Argumente genauer an.

„Herr Weber gibt in seinem Gutachten nicht das Literaturverzeichnis des Kandidaten bekannt […].“ Nun, das kann Herr Schellmann ja selber einsehen, und das hätte er vor dem Verfassen seines Kommentars auch tun müssen. Mir liegt es vor, und ich wiederhole: Die abgekupferte Literatur wird dort nicht angeführt. Schellmann weiter: „[…] samt den Schaubildern, die sicher keine originären Schöpfungen der Autoren waren, weil zu dem Thema Hunderte Publikationen in den USA auch ins deutsche Schrifttum eingingen.“ Natürlich gibt es diese Schaubilder x-fach, aber das ist ja gerade der Punkt: Im Detail gibt es sie so nur in den plagiierten Quellen. Schellmann ist hier einfach nur oberflächlich und weiß offenbar selbst gar nicht, wie man ein Plagiat erkennt.

„Wenn im Literaturverzeichnis die einschlägigen Werke mit Schaubildern angeführt waren, dann hat der Kandidat damaliger Praxis (2001) auf den FHs entsprochen.“ Die FH Wien müsste sich nun eigentlich rasch von ihrem Lektor distanzieren, denn er schreibt nichts anderes, als dass schamloses seitenweises Plagiieren aus dem Internet vor 22 Jahren der Praxis der Fachhochschulen entsprochen habe.

Es wäre interessant, die 70 Masterarbeiten einzusehen, die Herr Schellmann laut eigener Angabe erstbegutachtet hat. Vielleicht schickt er sie mir im Sinne der wissenschaftlichen Redlichkeit zur Überprüfung ex post. Ich wage die Hypothese, dass ich vieles entdecken würde.

Die Fachhochschulen in Österreich wollen Doktoratsstudien anbieten. Herr Schellmann katapultiert die FHs mit seiner Argumentation um 20 Jahre zurück.

Stefan Weber ist an der Uni Wien habilitierter Kommunikationswissenschaftler und Plagiatsgutachter.

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