Beziehungsstatus: Es ist kompliziert
Von Georg Leyrer
Popkultur und Publikum haben es derzeit nicht leicht miteinander.
über eine zerrüttete Beziehung.
Es ist gelaufen wie in so vielen Beziehungen: Irgendwann, nach glücklichen Anfangsjahren, nach anschließendem freundlichen Zusammenleben, nach einigen lauwarmen Streits und zunehmender Entfremdung hat einer der Partner genug gehabt.
Da die Partner aber in wirtschaftlicher und emotionaler Abhängigkeit zueinander stehen, hat man sich nicht getrennt. Sondern man führt seitdem einen typischen passiv-aggressiven Beziehungskrieg: Ständig hagelt es unausgesprochene Vorwürfe, man will mehr beachtet werden und fordert lautstark ein, täglich, ja minütlich umworben zu werden - und zeigt dann letztlich doch die kalte Schulter.
Die Popkultur und ihr Publikum haben es derzeit nicht leicht miteinander.
Zu viel Nähe
Dabei hat alles so gut ausgeschaut: Vor ein paar Jahren sollten die Partner gleichberechtigter werden. Das Publikum hat, über Facebook, Twitter und andere Plattformen, die Möglichkeit bekommen, ganz nah an die Künstler heranzukommen. Mit ihnen zu reden, ihnen Feedback zu geben, an ihrem Leben teilzuhaben.
Das Resultat dieser Nähe war eine spürbare Entfremdung.
Das Publikum will seitdem sozialmedial umhegt werden und, wie ein Kind mit Aufmerksamkeitsdefizit, ständig im Mittelpunkt stehen. Manchen Künstlern, wie der Social Media-Königin Amanda Palmer, passt dieses neue Umfeld wie angegossen. Viele andere sind ratlos.
So richtig gerne reden will kaum jemand darüber, es ist - wie eine zerbrochene Ehe - ein wenig peinlich. Noch dazu ging diese Macht-Verschiebung Hand in Hand mit einer abnehmenden Bereitschaft des Publikums, für Kulturprodukte zu bezahlen (die erst jüngst wieder zaghaft zurückkommt). Das macht es nicht leichter für die Künstler, vor allem im Popmusikbereich, zu dem Spiel gute Miene zu machen.
Doch das ist nicht nur ein Umdenkprozess bei den Anforderungen an die typische Künstlerkarriere. Sondern nimmt auch zunehmend Einfluss auf die kulturellen Inhalte.
Beispiel Pop
Es liegt in der Luft (und im Äther des Formatradios): Pop geht dort, wo er am breitesten ist, zunehmend vor dem Publikum in die Knie. Das klingt jetzt vielleicht etwas befremdlich - was ist Pop, schließlich, außer Breitenwirksamkeit, außer Niederschwelligkeit, außer Massen-Appeal?
Aber ganz stimmt das nicht: Viele große Acts - und da muss man gar nicht auf Pink Floyds Entfremdungsrockoper The Wall zurückgreifen oder Berufsgrantler wie Tom Waits und Bob Dylan herbeizitieren - haben durchaus kritische Distanz zum Publikum gehalten, haben dieses gefordert und es auch mal verweigert, dieses zu bedienen (Robbie Williams, wir meinen dich in deiner "Rudebox"-Phase).
Und ja, das Popbusiness schnurrt brav vor sich hin, vor allem in seiner Live-Abteilung.
Aber man kann auch hellhörig werden. Vor allem, wenn Widerstand aus dem Business kommt. Nicki Minaj etwa, nicht gerade für Tiefgang bekannt, klagt darüber, dass sie wegen ihres Images nicht ernst genommen wird. Sie - die bisher vor allem mit ihrem bunten Image auffiel - will sich quasi nicht länger verkaufen.
Da zeigt sich: Pop hat Abgrenzungsprobleme zum Publikum.
Die sind auch wirtschaftlich begründet: Risiko wird wo möglich vermieden, man setzt auf schematische Wiederholungen von bereits Erfolgreichem. Der Erfolgsdruck wird selbst für die wirklich großen Stars größer, die Labels wiederum haben kaum Spielraum, groß finanzierte Projekte in den Sand zu setzen. Und die Mittelklasse wird aufgerieben: Musikprojekte, die über Fonds oder Förderungen finanziert werden, werden zunehmend weniger, da sich diese Fonds aufgrund fehlender Verkäufe leeren.
Auch im Pop hat bisher das verlegerische Grundprinzip gegriffen: Über ein paar wirklich erfolgreiche Künstler konnten ein paar andere, weniger breitenwirksame Projekte querfinanziert werden. So konnte sich was tun in den Nischen, konnte man ein wenig etwas wagen. So entstanden Acts, die das Genre weiterentwickelten.
Aber man muss da nicht lange raten, was passiert, wenn die Gürtel enger geschnallt werden.
Einwurf
Soll der Kultur nichts Schlechteres passieren, als sich an den wirklichen Bedürfnissen des Publikums zu orientieren, könnte man sagen. Gegen das Elitäre, Besserwisserische in der Kultur sein.
Nur: es gibt warnende Beispiele gegen die weitergehende Verschiebung kultureller Inhalte in Richtung der Meinung eines breiten Publikums.
Etwa die Opernwelt. Auch hier tun sich Opernmacher und Publikum nicht immer leicht miteinander. Hier wird Werktreue und Tradition besonders hochgehalten, und zwar weil das Publikum das so will: Jede optische oder ästhetische Veränderung oder Auffrischung wird erstmal reflexartig weggebissen. Wenn dann, wie etwa an der New Yorker MET, auch noch Publikum und Geldgeber großflächig ident sind, dann wird es rasch eng: dann bestimmen in einem unverhältnismäßigem Ausmaß jene Menschen, wie Kultur aussieht, die das große Geld haben und in die Hand nehmen.
In die Pop-Verhältnisse übersetzt hieße das: Es gibt (neben einzelnen Acts, die einen besonderen Draht zum Publikum haben) zunehmend nur noch, was sich auf Anhieb ausreichend verkauft.
Also heißt es hoffen, auf eine Paartherapie, die Popkultur und ihr Publikum wieder versöhnt, auf dass sich beide nehmen, wie sie sind, mit allen Marotten und Macken. Dass sie einander wieder mehr Freiheiten lassen. Und einander auch mal vertrauen, wenn einer von beiden mal etwas abseits des Alltags ausprobieren will.