Wie Serbiens Boulevard die Massen im großen Stil manipuliert
Von Dennis Miskic
Sie spalten die Geister. Einerseits werden sie geächtet, andererseits haben sie aufgrund ihrer Reichweite einen großen Einfluss auf die Öffentlichkeit. Die Rede ist von Boulevardzeitungen. In Serbien gab es alleine im letzten Jahr über 1100 manipulative Schlagzeilen auf den Titelseiten der fünf größten Boulevardblätter. Besonders häufig kamen darin die Ukraine, der Kosovo und Präsident Aleksandar Vučić vor.
Eine Recherche der investigativen Online-Plattform Raskrikavanje hat sich die Berichterstattungen der Zeitungen Informer, Alo, Kurir, Srpski telegraf und Večernje novosti angesehen. Worauf sie gestoßen sind, ist Manipulation, Desinformation und Voreingenommenheit.
Die Analyse zeigte auch, dass es in diesem Jahr weitaus mehr Falschmeldungen gab als letztes Jahr. Grund dafür sollen polarisierenden Themen, die das Jahr geprägt haben, sein. Allen voran werden hier die Kosovo-Krise, der Ukraine-Krieg sowie die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen als Gründe genannt.
Waffe im Wahlkampf
Die Protagonisten, die die Titelseiten bespielen durften, variierten stark, abhängig von den aktuellsten Ereignissen. Kurz vor den Wahlen kam der Oppositionsführer Dragan Đilas besonders häufig mit Text und Bild in den Zeitungen vor. Über ihn sei undifferenziert berichtet worden. Er wurde „Heuchler“ und „Oppositionsmagnat“ genannt. Sein Gesicht hat man abgedruckt, obwohl er im Text nicht einmal vorkam.
Eine internationale Großrecherche deckte im März auf, dass die israelische Geheimfirma „Team Jorge“ sogar im Rahmen des Wahlkampfes für das Vučić-Regime tätig war. Sie soll etwa Dokumente gefälscht haben, die dann in den Boulevardzeitungen abgedruckt wurden.
Während der Kosovo-Krise kam der kosovarische Premierminister Albin Kurti besonders häufig vor. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij kam seit dem 24. Februar ebenfalls häufiger in einem negativen Kontext vor.
Vučić: „Aleksandar der Große“ & „Terminator“
Die einzige Persönlichkeit, über die wiederholt positiv und in diesem Ausmaß berichtet wurde, ist Aleksandar Vučić. Der serbische Präsident ist laut der Recherche von Raskrikavanje 851 Mal auf den Titelseiten der analysierten Zeitungen gedruckt worden. Er wird „Aleksandar der Große“ genannt, der einen „Kampf für das serbische Volk“ führt. Im März wurde er von Srpski Telegraf sogar als „Terminator“ karikiert.
Auch nach der russischen Invasion der Ukraine gab es Titelseiten, die über das Ziel hinausgeschossen haben. Die Tageszeitung Informer, die angibt „unabhängig“ zu sein, druckte am 22. Februar „Die Ukraine hat Russland angegriffen“. Damit ebneten sie den Weg, für die kommende Berichterstattung zugunsten Russlands.
Vom Staat finanziert
Für Boulevardzeitungen gab es im letzten Jahr mehr als 800.000 Euro aus öffentlicher Hand. Das Geld kam größtenteils durch Werbeverträge mit staatlichen Institutionen und aus staatlich finanzierten Werbeprojekten.
Der ehemalige Präsident der „Unabhängigen Vereinigung der Journalisten der Vojvodina“ und Medienanalyst Nedim Sejdinović erklärt gegenüber Raskrikanje, dass Informer ein gutes Beispiel dafür sei, wie Staatsgelder entgegen den Vorschriften zugewiesen werden. Diejenigen Medien, die gegen den journalistischen Kodex verstoßen, wie Informer und andere Boulevardzeitungen, sollten laut ihm kein Geld erhalten, tun es aber weiterhin.
Informer-Inhaber im Gefängnis
Einer, der sich dem journalistischen Kodex schon lange widersetzt, ist der Informer-Chefredakteur und Inhaber Dragan J. Vučićević. Dieser sitzt seit Montag im Gefängnis. Aber nicht, ohne eine Show abzuliefern.
Voller Trotz und Selbstvertrauen betrat er mit erhobener Faust das Gefängnis. Die Faust, als Zeichen seines Widerstandes gegen die von ihm viel zitierte „Oppression“. In seinem Kampf für seine ganz persönlichen Ideale, hat es Vučićević so weit getrieben, dass er nun für sechs Monate im Gefängnis verbringen muss.
Das Delikt: Beleidigung auf Twitter. Eigentlich hätte er dafür bloß eine Geldstrafe von 200.000 Serbische Dinar – umgerechnet etwa 1.700 €, bezahlen soll. Er hat sich aber aus "Protest" geweigert. „Egal, für wie verrückt sie mich jetzt halten. Ich gehe ins Gefängnis für sie alle. Jedem könnte das passieren“, erklärte er den Journalist:innen vor dem Bezirksgefängnis.
Der Richter hätte laut ihm seine Aussagen „als Beleidigung interpretiert.“ Er kündigte an, unmittelbar nach seiner Einreise in einen Hungerstreik zu treten. Und das so lange, bis zwei Forderungen erfüllt seien – eine Überprüfung des Gerichtsverfahrens sowie die Einleitung einer Initiative, um Beleidigungen nicht mehr unter Strafe stellen zu können.
Für Journalist:innen aus der Region ist das ein rein inszeniertes Drama, bei dem sich Vučićević als Opfer darstellen möchte. Einige, wohlgemerkt regierungsnahe, Politiker und Medien bezeichnen ihn aber als großen „Held“ und fordern seine Freilassung.
Sogar der serbische Präsident bot an, seine Geldstrafe zu bezahlen. Es sei laut Vučić „schlecht für das Land“, dass der Journalist ins Gefängnis geht. Die Ähnlichkeit im Nachnamen ist reiner Zufall.