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Migrantische Ökonomien in Wien: Männlich, verwandt, jung

In welchen Branchen gibt es Anzeichen einer migrantischen Ökonomie? Warum entscheiden sich Menschen mit Migrationshintergrund für eine Selbstständigkeit? Diese Fragestellungen beleuchtet das vom Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) beauftragte Forschungsprojekt "Migrantische Ökonomie in Wien“ des Instituts für Höhere Studien (IHS), das nun präsentiert wurde.

Neben einer qualitativen Befragung von migrantischen Unternehmer/innen in den Gegenden um den Viktor-Adler-Markt im 10. Wiener Gemeindebezirk und den Meiselmarkt in Rudolfsheim-Fünfhaus wurde eine umfangreiche quantitative Datenanalyse bestehender Registerdaten zum Phänomen migrantischer Ökonomien durchgeführt. 

Was man unter Migrantische Ökonomie versteht

Unter dem Begriff Migrantische Ökonomie versteht man die selbstständige Erwerbstätigkeit von Personen mit Migrationshintergrund und die abhängige Beschäftigung in Betrieben, die von solchen Personen geführt werden oder einem spezifischen migrantischen Milieu verbunden sind. Migrantische Ökonomien sind durch die Existenz von "Netzwerken gleicher Herkunft" gekennzeichnet, die Unternehmensgründungen durch Bereitstellung von Erfahrung, aber auch Gründungskapital und Personal aus diesen Netzwerken begünstigten können. Andererseits bildet das Netzwerk einen Markt für spezifische, den Bedürfnissen der Herkunftsgruppe angepasste Waren und Dienstleistungen.

Migrantische Ökonomien kommen vornehmlich in Ballungsräumen wie Wien vor. Kunden und Kundinnen migrantischer Unternehmen frequentieren diese hauptsächlich wegen des Produktsortiments und der Qualität. Bei vielen der befragten Unternehmer und Unternehmerinnen handelt es sich um die erste Generation, die meisten Befragten waren zwischen 26 und 35 Jahre alt und männlich. Insgesamt sind in den untersuchten Kleinunternehmen zwei bis maximal vier Angestellte tätig, die in den meisten Fällen mit dem Besitzer oder der Besitzerin verwandt sind.

Probleme in Familienunternehmen

Das birgt laut Verfassern der Studie auch Gefahren in sich. "Problematisch in Familienunternehmen sind nicht oder 'schwarzbezahlte' Überstunden, die ein Ausbeutungsverhältnis innerhalb der Familie fördern. Experten und Expertinnen erwähnten in diesem Zusammenhang, dass sie die Aufgabe von öffentlichen Organisationen unter anderem darin sehen, betroffene Personen über Scheinselbstständigkeit aufzuklären, um diesen Ausbeutungsverhältnissen vor allem in Niedrigsektoren und in Familienunternehmen entgegenzuwirken", heißt es darin. 

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In welchen Branchen Migranten selbstständig sind

Die Bereiche Bau, Handel, Verkehr, Gastronomie, Gesundheits- und Sozialwesen, sonstige Dienstleistungen im Bereich der Reparatur, körpernahe Dienstleistungen (Friseur- oder Kosmetikbetriebe, Sexarbeit) sind stärker von migrantischer Selbständigkeit geprägt, Spitzenreiter ist der Branchensektor Verkehr mit Tätigkeiten im Bereich Post- und Kurierdienstleistungen, also beispielsweise Fahrradbotendienste, Essens- oder Zeitungszustellungen. Dabei stechen vor allem die Herkunftsländer Indien, Ägypten und Afghanistan hervor.

Im Handel bilden der Verkauf an Marktständen und auf Märkten, (Gebraucht-)Fahrzeughandel, oft in Kombination mit Reparaturdienstleistungen (insbesondere für Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien), Verkauf von Telekommunikationsgeräten und Unterhaltungselektronik sowie Lebensmitteleinzelhandel (insbesondere bei türkischstämmigen Personen) die Schwerpunkte. Auch die Gastronomie ist ein Bereich, der für nicht-österreichische Erwerbspersonen besonders attraktiv ist: Für Gruppen aus Asien ist sie rund drei Mal relevanter ist als für den Durchschnitt (Personen mit chinesischem Geburtsort). Danach folgen Gruppen mit türkischer, syrischer, thailändischer oder maghrebinischer Herkunft.

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Bildung als Faktor ökonomischer Teilhabe

Die befragten Unternehmer/innen mit migrantischem Hintergrund verfügten im Regelfall entweder nicht über höhere Schulabschlüsse oder haben absolvierte Ausbildungen in Österreich bisher nicht nostrifiziert und arbeiten daher nicht in ihrer Ursprungsbranche. Insbesondere Migranten und Migrantinnen der ersten Generation haben tendenziell einen niedrigen Bildungsabschluss, was sich auf ihre Chancen am Arbeitsmarkt negativ auswirkt.

Die Befragten nannten einen Mangel an beruflichen Alternativen als mit ausschlaggebend für die Unternehmensgründung. Auffallend ist auch, dass informelle Netzwerke eine wesentliche Rolle in der Gründungsphase von Unternehmen spielen. Unterstützungsangebote offizieller Stellen, etwa zum Thema Unternehmensgründung, sind vielen der befragten Unternehmer/innen nicht bekannt.

Neben Sprachbarrieren scheinen auch kulturelle Aspekte eine Rolle zu spielen, warum die Befragten keine Hilfe von öffentlichen Stellen annehmen. Gleichzeitig wurde von den Befragten der Wunsch nach weiterführenden Informationen geäußert, hier sehen die Autor/innen Potenzial in zielgruppenspezifischerer Kommunikation über die entsprechenden Kanäle und Communitys.