Leben/Wohnen & Design

Architektur der Emotionen: Memorial Center in Kiew von querkraft

Als die deutsche Wehrmacht in die Ukraine vordrang, ließen sie bei Kiew in einer beispiellosen Aktion Tausende Juden erschießen. Nun soll am Ort, an dem das Massaker stattgefunden hat, eine Gedenkstätte entstehen. Insgesamt beteiligten sich 165 Büros aus 36 Ländern an dem Architekturwettbewerb. Der Entwurf von querkraft wurde von der Jury aufgrund „seiner Qualität der Vergegenwärtigung der historischen Ereignisse durch die Gestaltung“ ausgewählt. Im Interview erzählt Projektleiter Gil Cloos, was hinter der Idee für das Babyn Yar Holocaust Memorial Center steckt.

KURIER: Nach dem Zuschlag für das Ikea-Gebäude am Westbahnhof und für den EXPO-Pavillon, nun das Babyn Yar Holocaust Memorial Center. Welchen Stellenwert hat das Projekt für Sie?

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Gil Cloos: Es ist ganz klar eines unserer wichtigsten Projekte – und zwar nicht nur wegen der Größe, sondern vor allem wegen der Aufgabe. Mit dem Gebäude soll nicht nur Geschichte vermittelt werden, es geht um Emotionen. Das Memorial Center wird ja genau an dem Ort errichtet, wo das Massaker stattgefunden hat. Das verlangt schon eine besondere Vorgangsweise.

Wie nähert man sich als Architekt so einem Projekt an?

Wir haben uns intensiv mit dem Ort auseinandergesetzt, ihn zu verschiedenen Jahreszeiten besucht und auf uns wirken lassen. Ich habe auch das Buch gelesen, das die einzige Überlebende geschrieben hat, um die Dimension dieses Gräuels im Ansatz zu verstehen. Was die Betroffenen tatsächlich gefühlt haben, kann Architektur nicht wiedergeben, aber sie kann die Besucher in eine spezielle Stimmung versetzen, Gefühle erzeugen.

Wie soll das funktionieren?

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Die Schlucht wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zugeschüttet. Dadurch wurde auch ein Teil der Erinnerung begraben – und da haben wir angesetzt. Wir haben das Museum unter die Erde gelegt, an die Stelle, wo das Massaker 1941 stattgefunden hat. Eine 270 Meter lange Rampe führt vom Null-Niveau hin. Die Besucher brauchen sicher fünf Minuten, um sie zu bewältigen. Anfangs ist es nur eine Rampe, aber sie wird quasi zur Falle. Mit jedem Schritt klappen die Wände über den Besuchern zusammen. Es gibt für sie kein Entrinnen. Damit haben wir zwei Analogien verfolgt: Die Juden wurden zum Bahnhof bestellt, durften aber nicht in den Zug steigen, sondern wurden die Schlucht hinuntergetrieben. Statt in die Freiheit gingen sie in den Tod. Die Rampe zeigt aber auch, dass die Gesellschaft leicht in die Dunkelheit schlittert, wenn sie sich nicht dagegen anstemmt.

Die Rampe bringt die Besucher emotional in eine andere Stimmung?

Genau. Wenn sie die ersten Schritte machen, hören sie noch das Vogelzwitschern und sehen die Sonne – so wie es damals auch den Juden ergangen sein mag. Wenn sie am Ende der Rampe anlangen, hören sie nur mehr ihre eigenen Schritte und ihren Atem und sind von Dunkelheit umgeben. Dann betreten sie einen sakralen Raum, der dazu dient, ihre Gedanken zu sammeln. Die Dunkelheit und den rauen Beton haben wir auch dort beibehalten. Und nun gelangen sie in das eigentliche Memorial, wo in einer Dauerausstellung die Geschehnisse von 1941 aufgearbeitet werden sollen. Dieser Raum ist akustisch und visuell vom darüber liegenden Museum abgekoppelt, nur Lichtschlitze lassen erahnen, dass darüber helllichter Tag ist.

Wie gelangt man von der Dunkelheit wieder ins Helle?

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Wir haben eine Art hängende Skulptur, eine weitere Rampe entwickelt, die Schritt für Schritt entgegen der Schwerkraft dem Licht entgegenführt. Diese Choreografie war uns sehr wichtig. Der Democratic Space,wie wir ihn nennen, ist eine Art terrassierte Landschaft. Es ist ein lichtdurchfluteter Raum, der an eine Arena erinnert und dessen Nutzung offen gehalten ist. Hier sollen die Archive, eine Bibliothek, aber auch ein Auditorium und ein Coffee Shop untergebracht werden.

querkraft hat mit dem Büro Kieran Fraser Landscape Design zusammengearbeitet. Wie soll die Landschaft um das Memorial gestaltet werden?

Auf der zugeschütteten Schlucht ist ein Wald entstanden. Wir lassen die alten Bäume stehen, aber das Unterholz wird entfernt. Kieran Fraser hatte die Idee, hier einen Blütenteppich zu setzen. Es sind verschiedene Blumen, sodass zu jeder Jahreszeit eine blüht. Gemeinsam hatten wir die Idee, schwebende Betonstege über den Blüten zu installieren. Auf ihnen gehen die Besucher durch den Wald zu ihrem Auto zurück – aber sie treten den Boden nicht mit Füßen, unter dem ja die Opfer begraben liegen. Das war uns ein wichtiges Statement. Zudem finden die Besucher so noch einmal einen Ort vor, wo sie über das Gesehene und Geschehene reflektieren können.

www.querkraft.at

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