Gala der Menschlichkeit: „Helfen ist Ehrensache“
Von Uwe Mauch
Dem Benjamin aus der ersten Klasse Volksschule zeigt sie heute, dass es am Feld, aber im Dorf heißt. Schon bald wird dem Buben ein Licht aufgehen, noch kämpft er. Denn seine Muttersprache ist Rumänisch, und die erste Fremdsprache ist aufgrund seiner Familie Italienisch.
„Das Schöne ist, wenn ich den Kindern ein Lächeln ins Gesicht zaubern kann“, sagt Evi Steinhauser, während der Benjamin kurz einmal beim Fenster rausschauen darf.
„Mädchen für alles“
Im Frühjahr 2018 wurde das KURIER-Lernhaus feierlich im modernen Rathaus der nö. Bezirkshauptstadt Bruck an der Leitha eröffnet. Seither hilft Evi Steinhauser hier mit, koordiniert die Einsätze der anderen Freiwilligen, spricht sich dabei immer wieder mit der jungen pädagogischen Leiterin ab und springt – so wie heute – oft auch als Lernhelferin ein.
Die Mutter eines erwachsenen Sohns lächelt, dann sagt sie: „Ich bin das Mädchen für alles hier.“
Drei Mal pro Woche können die Kinder aus den beiden Brucker Volksschulen zum jeweils zweistündigen Lernen ins Rathaus kommen. Sie wurden in Absprache mit ihren Lehrern und Eltern ausgewählt. Der Unterricht ist kostenlos, doch definitiv nicht umsonst: „Bisher konnten wir aktiv dazu beitragen, dass alle Kinder nach der Volks- in die Mittelschule wechseln konnten.“
Auf die Frage, warum sie sich neben ihren bisherigen Ehrenämtern beim Roten Kreuz (Lebensmittelausgabe bei der Team Österreich Tafel und Betreuung von betagten Menschen) für Schulkinder starkmacht, zitiert Evi Steinhauser einen Werbeslogan dieser Blaulichtorganisation: „Helfen ist Ehrensache.“
Und dafür hat sie gute Gründe: „Die Eltern unserer Kinder sind keine schlechten Eltern, aber sie können nicht so viel helfen, weil die meisten selbst nicht sehr gut Deutsch sprechen.“
Zuerst hatte sich die freiwillige Helferin vom kleinen Benjamin zeigen lassen, welche Hausaufgaben er heute zu erledigen hat. Beim Lösen der Aufgaben hat sie schnell seine Stärken und Schwächen ausgemacht. Dass sie einst davon geträumt hat, als eine Volksschullehrerin tätig zu sein, mag da kein Nachteil sein. „Emotional schließt sich für mich sogar ein Kreis.“
Unsere Nominierten: Für die „Gala der Menschlichkeit“ am 10. 11. porträtierte die Redaktion 16 tolle Menschen, die sich in den Dienst der Gemeinschaft stellen, u. a.: die Schreibpädagogin, die Wohnungslose beim AUGUSTIN zum Schreiben animiert; die ÖBB-Fahrdienstleiterin, die in ihrer Freizeit Flüchtlingen hilft; zwei Banker bei der „Zweite Sparkasse“, zwei Kindergärtnerinnen; das „Team Sozius“ der Wiener Linien. Heute zum Finale: Evi Steinhauser, die im KURIER-Lernhaus in Bruck/L. aktiv ist.
Ihre Nominierten: Die KURIER-Leser und -Leserinnen haben rund 60 Menschen aus ihrem eigenen Umfeld nominiert. Einige finden Sie hier auf kurier.at.
Lange lässt sie dann ihren Schützling nicht aus dem Fenster schauen, bald muss er seine Aufmerksamkeit wieder auf das Arbeitsblatt lenken. Dazu seine Fördererin: „Also wir haben in unserem tollen Team ganz unterschiedliche Typen. Ich darf wohl von mir sagen, dass ich eher nicht der Oma-Typus bin. Ich bin schon ein bisschen streng.“
Was sie denn von den Lernhaus-Kindern gelernt hat? Evi Steinhauser denkt kurz nach. Dann antwortet sie: „Ich bin ruhiger, geduldiger geworden. Ich weiß heute, dass man als Erwachsener nicht alles durchsetzen kann. Die Kinder zeigen dir sofort deine Grenzen auf. Lernen geht nur im Miteinander, nie von oben herab.“
Und ja, die regelmäßige Arbeit mit Kindern sei für sie sehr bereichernd: „Weil man das Gefühl hat, dass man was Sinnvolles macht. Weil man sich gebraucht fühlt. Und weil man von den jungen Leuten sofort ein schönes Feedback erhält, wenn sie am Ende eine Aufgabe gelöst haben.“
Schön sei das, wenn ein Bub oder ein Mädchen, das an den ersten Nachmittagen in sich gekehrt dasaß und wenig Emotion zeigt, mit der Zeit langsam aufblüht, um dann über den Rathaushof zu sausen und seine Evi ganz fest zu umarmen. Und es zeichnet sich bereits deutlich ab: Bald wird auch ihr Benjamin erste große Erfolge feiern.
Lernhilfen für Kinder aus Familien, die sich Bildung nicht leisten können, bieten mehrere Organisationen an. „Das Besondere der KURIER-Lernhäuser“, betont man beim Roten Kreuz, „ist ihr klares Konzept. In allen Häusern gibt es eine pädogoische Leitung, die in Absprache mit den Schulen agiert.“ Zudem können die Kids spielen und Freunde treffen.
Aktuell gibt es ein Lernhaus im 15. Bezirk in Wien, zwei Standorte in Tirol sowie sechs in Niederösterreich (Bruck an der Leitha, Neunkirchen, Mödling, Herzogenburg, Gänserndorf und Tulln).
Weiterhin wird diese Initiative für mehr Bildungsgerechtigkeit von privaten Gönnern und Unternehmen am Leben gehalten. Alle Infos dazu hier.