Kultur

Wolf Wondratschek: „Sich Ali sprachlos vorstellen“

Er ist wieder da. Sichtbar. Der Boxkampf im deutschen Fernsehen. Ab 9. November im ZDF. Und damit unweigerlich der Gedanke an ihn.

An einen, der das Boxen in Deutschland mit Worten zu fassen imstande ist, wie keiner vor ihm. Der sich ihm verschrieben hat, wie kaum einer nach ihm. An einen, der immer da war. Der stets beobachtet, selten beachtet wird. Wolf Wondratschek.

 

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Der Dichter, der selbst im Ring steht. In Hamburg St. Pauli zu Zeiten von Domenica – „eine Hure bis hinein in ihr großes träges Herz“, wie er schreibt. In München mit Barmann Charles Schumann zu Rossini-Zeiten.

 

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„Früher begann der Tag mit einer Schusswunde“ schreibt er 1969. Heute schreibt er in Wien. „Es ist die Sprache, die etwas will.“

Und die seine will. Und kann. Viel. Wie zum 70. Geburtstag von Muhammad Ali. Seine Begegnungen mit ihm. Und das Bild von ihm. Im Flugzeug.

Der Boxer, der der Anschnall-Aufforderung nicht nachkommt, kontert der Stewardess. "Superman braucht keinen Gurt.“ Antwort der Stewardess: "Superman braucht kein Flugzeug!“ Darf man sich Ali, einmal wenigstens, sprachlos vorstellen?

Darf man. Kann man. Wie Wondratscheks Worte wirken, zeigt "Erde und Papier“. Jenes über 300 Seiten starke Buch, das fast unbemerkt vom Literaturbetrieb erschien. Warum?

 

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Vielleicht, weil Wondratschek nie Teil dessen war. Der erste Preis, den er sein eigen nennt, ist gestiftet von einem Privatmann. In seiner Dankesrede gibt er ungewöhnlich viel Privates preis. Und damit auch den Grund seines Schreibens. „Ich war acht oder neun oder zehn Jahre alt – und die Sache, die mein Leben sein würde, war entschieden. Von einem Augenblick zum anderen. Ich hatte die Botschaft in der Tasche.“ In der Tasche des jungen Wondratschek: ein Zettel, gefaltet, mit Bleistift beschrieben. Einem Fremden aus der Tasche gefallen. Von ihm gefunden, glatt gestrichen, gelesen. „In dem Verstehen der Kunst stoßen wir an die gleichen Grenzen wie im Verstehen der Geisteskrankheit. Es sind die Bereiche der Imagination, es die Bereiche des eigenen Unverständlichen, es ist der Reichtum des Menschlichen.“


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Wondratschek versteht die Worte nicht, wohl aber, dass er den Verstand verliert. „Früher oder später wird so einer eben Dichter, was ein noch viel größeres Geheimnis selbst für den darstellt, der einer geworden ist. Wer Gedichte schreibt, muss gut schwimmen können. Noch besser tauchen.“ Die Disziplin beherrscht er.

Selbst-Zufriedenheit

Spürbar stets auch in Reportagen wie jener über die „Seventies“ im Playboy. "Nie schien Glücklichsein so leicht. Der Sommer war ein Geisteszustand, keine Jahreszeit.“


Oder wie in seiner Grußbotschaft zum Firmenjubiläum des Tabaktraditionshauses Villiger, in der der „noch immer Süchtige“ schreibt, wie er vom Kellner vor die Tür gebeten, eben dort mit ihm raucht. "Zusammen erinnern wir uns an die Vorzüge der alten Welt, als die noch wusste, was sich gehört.“

 

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Die Zeit, als Männer noch zwischen „Zufriedenheit und Selbstzufriedenheit zu unterscheiden wussten“. Die Zeit von Winston Churchill, Romy Schneider, Virgina Woolf und Leonard Bernstein. „Er wäre ohne Zigarette explodiert. Er ist dann nur gestorben.“

Oder seine Antwort im Fragebogen von Max Frisch, ob er jemanden liebe. „Ich liebe die Frau, die ich liebe. Ich liebe auch die Frauen, die ich geliebt habe.“ Und woraus schließen Sie das? „Ich kann ohne die, die ich liebe, leben, nicht aber ohne Liebe.“

Ohne Inhaltsverzeichnis und Überschriften kommt der Band aus. Erst im Anhang wird offenbar, um welche unveröffentlichten Texten, offenen Briefen, raren Dankesreden und sich häufenden Nachrufe, um welche Geschichten, Gedichte und Gedanken es sich handelt. Ein bemerkenswerter Band. Ein Wondratschek zum immer wieder Lesen.