Plácido Domingo: Jahrhundertsänger mit Stehaufqualitäten
Von Peter Jarolin
Auftrittsapplaus, Jubel, Ovationen, Blumen und „Plácido, Plácido, Plácido“-Rufe am Ende – so wäre es wohl gewesen. Denn seinen 80. Geburtstag (am 21. Jänner) feiert der Jahrhundertsänger natur- und standesgemäß auf der Bühne.
Und zwar an der Wiener Staatsoper, wo der gebürtige Madrilene am 22. Jänner die Titelpartie in Giuseppe Verdis „Nabucco“ gibt. Aufgrund der Pandemie allerdings bereits um 16.30 Uhr (Live-Stream auf play.wiener-staatsoper.at), ganz ohne Publikum und somit ohne Fans. Diese können dem Jubilar aber am 24. Jänner (20.15 Uhr) auf ORF III zumindest mit hohen Einschaltquoten für seinen „Nabucco“ virtuell danken.
Legendenstatus
Und das werden sie wohl auch. Denn Plácido Domingo ist eine lebende Legende.
Einer, der die Musikwelt in neue Dimensionen geführt hat, der die Klassik – seinen Kollegen Luciano Pavarotti ( 2007) und José Carreras – unter dem Titel „Die drei Tenöre“ auch in die Pop-Charts geführt hat.
Einer, der auf der Bühne stets alles gab und gibt, der sein Publikum mit Präsenz und vokaler Potenz immer erreichte.
Mehr als 21 Millionen verkaufte Tonträger, mehr als 135 Rollen, unzählige Auszeichnungen und Auftritte in aller Welt: Domingo ist der Marathon-Mann der Oper. Domingo hat sich nie geschont. Es gibt kaum eine Rolle, die er im italienischen oder französischen Repertoire nicht gesungen hätte.
Verdi, Puccini, Bizet, Massenet, Mascagni. Leoncavallo, Giordano: Domingo hat all diese Komponisten zu höchster Vollendung geführt. Sogar Richard Wagner (Siegmund in der „Walküre“, die Titelpartien in „Lohengrin“, „Tristan“ und „Parsifal“) durfte nicht fehlen, dazu Tschaikowsky („Pique Dame“), Menotti, diverse Zarzuelas oder Zeitgenössisches des chinesischen Komponisten Tan Dun – Domingo hat jedes Fach perfekt bedient. Anfangs (und ganz kurz) als Bariton in Rossinis „Barbier von Sevilla“, danach jahrzehntelang als tenorale Ausnahmeerscheinung. Im Alter erfolgte dann die Rückkehr zu den Baritonpartien wie Verdis „Simon Boccanegra“ oder eben „Nabucco“.
Mentorenstatus
Ein zusätzliches Standbein wurde bald das Dirigieren. Quasi nebenbei leitete der vielfach preisgekrönte Künstler die Washington National Opera und die Oper von Los Angeles. Mit „Operalia“ gründete Domingo einen Wettbewerb für junge Sängerinnen und Sänger, mit seinen vielfältigen Wohltätigkeitsveranstaltungen und Hilfsprojekten unterstützt der mehrfache Familienvater internationale Organisationen.
Womit wir indirekt bei einem Steckenpferd Domingos wären, dem Sport. Kaum eine Sportart, für die sich der auch für die FIFA ehrenamtlich tätige Künstler nicht interessiert. Fußball aber ist das Um und Auf in seinem Leben. Der Autor dieser Zeilen durfte das selbst bei einem Interview erleben. Denn vor einer großen Premiere fand gerade die Fußballeuropameisterschaft statt. Domingo sprach kurz über die von ihm so heiß geliebte Musik, ehe er auf Zetteln die zumindest für ihn ideale Aufstellung der spanischen Nationalmannschaft (mit ausführlichen Begründungen) skizzierte.
Und beim „El Clasico“ zwischen Real Madrid und Barcelona waren und sind „der Königliche“ Domingo und der Katalane Carreras für 90 Minuten leidenschaftliche Gegner. Da hört die Freundschaft kurz auf.
In Österreich hält Domingo übrigens zu Rapid Wien und musste mit dem Verein auch oft durch schwere Zeiten gehen.
Bekenntnisstatus
Und schwere Zeiten begannen für Domingo, der bereits 1967 an der Wiener Staatsoper debütierte, auch 2019.
Mehrere Frauen bezichtigten den Künstler im Rahmen der #MeToo-Bewegung der sexuellen Belästigung. Domingo trat daraufhin als Chef in Los Angeles zurück; sein Vertrag an der New Yorker Met wurde nach der Generalprobe für eine Premiere aufgelöst. 2020 entschuldigte sich der Star bei allen Frauen offiziell und räumte „ein persönliches Fehlverhalten“ ein.
Er ist also wieder aufgestanden. Auch auf der Opernbühne. In diesem Sinne: Feliz Cumpleaños an einen wahren Weltstar.