"ORF darf andere Medien nicht an die Wand drängen"
Mit ihrer Forderung, ORF.at abzudrehen, hatte Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter im Sommer aufhorchen lassen. Sie habe nichts gegen ORF.at, betonte sie am Dienstag bei einer Podiumsdiskussion im Haus der Musik, "ORF.at macht eine ausgezeichnete Arbeit“. Jedoch sei die Seite "quasi werbefrei und kostenlos". Österreicherinnen und Österreicher seien es dadurch gewöhnt, Inhalte gratis im Netz zu konsumieren.
Private Medienhäuser seien aber darauf angewiesen, ihre Inhalte zu monetarisieren. Der ORF könne zudem seine audiovisuellen Inhalte an ORF.at anknüpfen. "Das sorgt für eine enorme Schieflage am Markt", so Brandstötter. Der ORF dürfe nicht so groß und mächtig werden, "dass er andere Medien an die Wand drängt."
Eine Verzerrung des Marktes ortet auch KURIER-Medienredakteur Philipp Wilhelmer. Online könne man nur über Reichweite oder Abonnements Geld verdienen – Zweiteres sei die Zukunftsperspektive für heimische Medienhäuser. ORF.at gehe da jedoch einen "Sonderweg": Mithilfe der Gebührengelder werde ein Gratisangebot finanziert, das den Markt "massiv verzerrt und damit die Zukunftsperspektiven aller Medienhäuser".
Die Ankündigung von Generaldirektor Roland Weißmann, die Meldungsanzahl auf ORF.at zu halbieren, zeige, dass der Handlungsbedarf erkannt wurde, so Wilhelmer. Die Formulierung sei jedoch unscharf: „Was heißt die Hälfte?“. Kritikpunkt der Verleger sei, dass etwa mit vertiefenden Hintergrundberichten zeitungsähnliche Inhalte verschenkt werden, „mit denen andere Abos generieren könnten“. ORF.at solle sich auf „Überblicksberichterstattung“ konzentrieren.
SPÖ-Stiftungsrat Heinz Lederer verteidigte ORF.at: Die blaue Seite biete vielen Gruppen Zugang zu unabhängiger Information „und der muss erhalten bleiben“. Er begrüße den Vorschlag des Generaldirektors die Anzahl der Meldungen zu halbieren, um den Privaten entgegenzukommen. Durch die geltenden Beschränkungen im Digitalen, etwa die 7-Tage-Regelung, habe der ORF online aktuell jedoch wenig andere Möglichkeiten. Dass das Werbegeld im Falle einer Zerschlagung von ORF.at automatisch zu den Privaten abwandern würde, sei ein Irrglaube, so Lederer: Dieses würde bei Google & Co landen.
"Politik sollte nicht entscheiden, wie viel Geld ORF bekommt"
Dass der ORF auch Werbung schalten darf, sei „historisch gesehen nachvollziehbar“, man habe jedoch verabsäumt, das in den 90ern neu zu regeln, findet Rüdiger Landgraf von Kronehit. Der Slogan „ORF wie wir“ sei aus Sicht der Privaten „manchmal zu zutreffend“. Der ORF müsse sich die Frage stellen, ob es Auftrag sei, „mit seinem Radioprogramm möglichst viele Menschen zu erreichen" oder entsprechende Kontaktpreise zu haben "und damit seine Struktur zu finanzieren“.
Wie die Finanzierung des ORF nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zur GIS in Zukunft aussehen wird, war ebenfalls Thema. In Zeiten der Teuerung werde die Frage, wie hoch die Gebühren ausfallen, „spannend“. „Da beneide ich die Medienministerin nicht“, so Wilhelmer. Ob eine Haushaltsabgabe kommt oder eine gerätegebundene Abgabe, sei nur eine semantische Frage: „Weil das in Wahrheit jeden betrifft, alle haben ein digitales oder Antennengerät“. Eine Budgetfinanzierung wäre jedoch die schlechteste Variante und würde „politischem Einfluss Tür und Tor öffnen“.
Auch die Neos sprechen sich gegen eine Finanzierung aus dem Budget aus: Es sollte „nicht von der Politik abhängen, wie viel Geld der ORF bekommt“, meint Brandstötter. Sobald etwas aus dem Budget finanziert werde, werde es auch nicht mehr debattiert: Ein Erlagschein oder eine Lastschrift würden auch die Motivation steigern, sich aktiv einzubringen. Die Neos treten für eine Haushaltsabgabe ein, die „deutlich geringer“ ausfallen solle als die GIS.
Landgraf sei „kein Anhänger der Haushaltsabgabe“, da diese sozial gestaffelt sein müsste. Er plädiert „für den allgemeinen Steuertopf“. Eine soziale Staffelung stehe aufgrund der geringen Summe in keinem Verhältnis zum bürokratischen Aufwand, wandte Brandstötter ein. Es solle jedoch eine Befreiung geben.
Thurnhers Formulierung "extrem unglücklich"
Für Aufregung hatte kürzlich ein Interview von Radiodirektorin Ingrid Thurnher gesorgt, in dem angedeutet wurde, FM4 könnte ein jüngeres Ö3 werden. Marken müsse man zwar immer wieder verändern, so Landgraf. Der ORF müsse sich aber fragen, ob er mit FM4 abseits des Mainstreams etwas erreichen wolle, oder ob es darum gehe, „die Hörerzahl im Radio zu maximieren, um mehr Werbung zu verkaufen“. „Wer den Mainstream bedient, vernachlässtigt die Avantgarde“, so Landgraf: „Und das ist aber das, was Österreich kulturell voranbringt.“
FM4 sei „in die Jahre gekommen“, man müsse daher etwas Adäquates entwickeln, befand auch Lederer. Thurnhers Formulierung im Standard-Interview sei „extrem unglücklich“ gewesen. Über die kolportierten Änderungen im Programm von Ö1 – die Rede war etwa von Kürzungen der Sendungen „Jazznacht“ oder „Zeit-Ton“ – zeigte sich Lederer wenig erfreut. Diese müssten jedoch ohnehin erst vom Stiftungsrat abgesegnet werden, man werde sich die Vorschläge genau anschauen.
Einigkeit herrschte bei der Frage, ob der ORF und andere Medienhäuser auch Plattformen wie TikTok bespielen sollten, die u. a. wegen Datenschutzbedenken in der Kritik steht. „Man muss Nachrichten dorthinbringen, wo die Menschen sind“, so Brandstötter.