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Filzmaier in ORF-Talk: "Vertrauenskrise bei Regierungspolitikern“

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

"Frau Blanik, wie ist denn die Situation, was die Schneemassen in Osttirol betrifft?", fragt Claudia Reiterer zu Beginn.

Die Schneesituation? Wurde am Sonntagabend etwa eine falsche Sendung von "Im Zentrum" ausgestrahlt?

Nein, Reiterer wollte nur mit einem aktuellen Bezug einsteigen.

Okay, wenn wir schon dabei sind, können wir auch gleich die Antwort der Bürgermeisterin von Lienz, Elisabeth Blanik (SPÖ) zitieren: "Der Bezirk ist natürlich sehr stark betroffen. Wir sind in einem Winterwunderland, was uns momentan etwas Kopfzerbrechen macht." Herausfordernd sei das, aber auch schön.

Frau Blanik ist aus einem anderen Grund eingeladen. Lienz habe den dritthöchsten Wert aller Bezirke in Österreich, was die Corona-Sieben-Tage-Inzidenz betrifft, sagt Reiterer. Und das gesamte Winterwunderland Tirol hat aufgrund der Schneemassen Probleme mit den Massentests.

Das führt uns langsam zum eigentlichen Thema: "Zwischen Lockdown und Lockerung - was beschert uns Weihnachten?" Aktuell sind auch neben Lockdown und Lockerung auch die Lockangebote im wieder öffnenden Handel ein Ärgernis. Und die "Massentests ohne Masse", wie Reiterer sagt. Die Massentests bezeichnet sie als "spontan initiiertes Großprojekt" des Kanzlers.

Regierung anwesend

Verteidigen muss das Projekt am Sonntagabend Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP). Wir sehen also, die Bundesregierung ist bei diesem Diskussionsabend, im Gegensatz zur Vorwoche am "Runden Tisch", anwesend. Für die Grünen tritt Johannes Rauch an. Der Vorarlberger Landesrat und grüne Landessprecher ist bekannt für seine offenherzigen Wortspenden abseits der Koalitionsräson.

Lienz hat übrigens trotz der Schneemassen die Testungen durchgeführt, sagt die Lienzer Bürgermeisterin.

Was aber noch wichtiger ist: Frau Blanik fasst auch die Diskussion recht gut zusammen. "Wenn man sich dieses parteipolitische Hickhack anhört, dann versteht man, warum die Menschen resignieren. Der Herr Haimbuchner erklärt, was die Türkisen falsch machen, die Türkisen erklären, was die Grünen falsch machen ..."

Hoppla, was ist da passiert?

Blanik meint folgenden Satz der Ministerin Schramböck: "Es ist bekannt, dass wir von der ÖVP gerne früher harte Maßnahmen getroffen hätten."

Und warum das nicht gelungen sei?

Schramböck: "Es ist eine Demokratie. Man muss in einer Koalition Mehrheiten finden."

Interessant, welche Probleme sich einem in der Politik in den Weg stellen können.

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Dass die Menschen zunehmend resignieren, legen auch die Zahlen von Peter Filzmaier nahe.

"Es ist so, dass die Pandemie und die Maßnahmen teilweise von der Mehrheit nicht ernst genommen werden", sagt der Politikwissenschafter. "Ich bin auch persönlich betroffen von Daten einer Langzeitstudie der Universität Wien. Die Daten aus dem Herbst sehen so aus, dass nur die Hälfte bereit wäre, sich testen zu lassen, selbst wenn sie Kontakt zu einem begründeten Verdachtsfall hätten."

Zur Verdeutlichung: Filzmaier spricht hier nicht von irgendwelchen Massentests, sondern von PCR-Tests im Rahmen eines Contact Tracings.

Außerdem: Die Lebensart zu ändern, komme für eine Mehrheit nur dann in Frage, wenn es gerade eine explosionsartige pandemische Entwicklung gebe, das Verhindern einer Welle schon im Ansatz reiche den Österreichern als Motiv nicht aus, sagt die Studie.

Auch die bisherige Bilanz bei der Propagierung der Maßnahmen sei bescheiden, erklärt Filzmaier: "Bei der Corona-Ampel war es so, dass nur ein Drittel sagte: Ich weiß, was Rot eigentlich bedeutet."

Zum Glück fällt diese Bilanz im Straßenverkehr noch etwas besser aus.

Zur Corona-App: "Nur ein Viertel der Personen hat gesagt, das ist nützlich."

"Dramatische Situation"

Also ob das alles noch nicht genug sei, konstatiert Filzmaier noch eine Vertrauenskrise in die Politik und ihre Institutionen, "vor allem bei Regierungspolitikern". Dies sei eine "geradezu dramatische" Situation: "Den Akteuren, die die Maßnahmen propagieren, wird weniger vertraut. Andererseits ist die Bereitschaft, sich nach den Maßnahmen zu richten, sehr gering."

Was sagt Ministerin Schramböck dazu?

Es sei gelungen, die 7-Tage-Inzidenz zu halbieren, wichtig sei aber auch Wdie Verantwortung, die jeder für sich wahrnimmt."

Und: Massentests seien wesentlich günstiger als jeder Lockdown, meint die Wirtschaftsministerin.

Und die Vertrauenskrise? Reiterer fragt noch einmal nach.

"Das wird mn in vielen verschiedenen Ländern haben", antwortet Schramböck. "Es ist klar, dass allen die Krise schon auf die Nerven geht. Dass alle gern hätten, dass sie verschwindet. Das Virus verschwindet aber nicht, es lässt nicht mit sich verhandeln. Wir haben bald Impfungen. Der Ausblick ist wichtig.“

Der stv. Landeshauptmann Oberösterreichs, Manfred Haimbuchner (FPÖ), kritisiert die Massentests aus bereits mehrfach berichteten Gründen. Er behauptet zudem: "Dieses Testen, Testen, Testen entspricht überhaupt keinen Empfehlungen von Experten, Virologen, auch nicht der WHO."

Hier hakt Reiterer ein: "Was ist die Strategie des Landes Oberösterreich? Sie haben zum Teil die meisten Fälle."

"Wo viel getestet wird, findet man auch viele positive Fälle", sagt Haimbuchner.

Dieses Testen ist bei der FPÖ wirklich ziemlich unbeliebt.

Es gebe auch ein gutes Contact Tracing in Oberösterreich, erzählt Haimbuchner.

Heißt das nun: Ein funktionierendes Contact Tracing ist auch schuld an den vielen Fällen in Oberösterreich?

Gegen die Wand

Aber immerhin sei das Gesundheitssystem in Oberösterreich "nicht überbelastet", sagt Haimbuchner, der dann noch zum großen Schlag gegen den harten Lockdown ausholt: "Wenn man mit einem Auto gegen eine Wand fährt, dann kann ich es auch abbremsen."

Man sollte das Auto aber vorher "vernünftig abbremsen". Es sei "keine Strategie erkennbar", sagt Haimbuchner. Die Risikogruppen seien nicht geschützt worden, "in den Alten- und Pflegeheimen gibt es große Cluster. Aber in der Gastronomie und Hotellerie gibt es diese Infektionsherde nicht. Die werden geprügelt, für etwas, das sie nicht zu verantworten haben."

Schramböcks Konter spielt in einen anderen Themenbereich hinein, nämlich dem, dass FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl dazu aufgerufen habe, nicht zu den Massentests zu gehen, was "unverantwortlich" sei.

"Das stimmt doch nicht", murmelt Haimbuchner.

Das muss dieses Hickhack sein, das Bürgermeisterin Blanik meint.

Hereingeholt

Jetzt wird Rauch von Reiterer hereingeholt, in die Diskussion nämlich. Der zugeschaltete Politiker meint, die Vorarlberger seien "keine Schönwetter-Föderalisten" wie manche in Oberösterreich. "Die Bundesländer haben die Verantwortung für die Altersheime übertragen bekommen. Diese Zuständigkeit muss man wahrnehmen."

In einem Punkt sieht er noch "Anpassungsbedarf", "das sind die Besuchsregelungen für Familien über die Grenze". Man könne Fahrten ins nahe gelegene Ausland nicht mit weiten Reisen oder mit Skitourismus vergleichen. Daher möchte er "zwischen Reisebeschränkungen und Besuchsbeschränkungen" unterscheiden.

Das kleine Vorarlberg ist rein geografisch von relativ viel Ausland umgeben, daher scheint dieser Punkt dort besonders wichtig.

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"Herr Wiederkehr, ich hole Sie nur herein", sagt Reiterer zum Wiener Neos-Chef. In die Diskussion freilich, Christoph Wiederkehr sitzt ja im Studio. Und man sieht, der Ex-Oppositionspolitiker hat die Disziplin Regierungspolitik schnell verstanden. 

Warum die Massentests bisher in Wien nicht so beliebt seien?

Vizebürgermeister Wiederkehr: "Es sind noch zu wenige, die sich testen haben lassen. Aber es stehen noch sieben Tage zur Verfügung, in denen sich die Menschen testen lassen können. Es ist wirklich top-professionell organisiert."

Außerhalb Wiens ist Wiederkehr aber Oppositionspolitiker. Das merkt man daran, dass er die "unklare" Krisenkommunikation der Regierung kritisiert: "Im März hat man gesagt, nach Ostern kommt die Wiederauferstehung. Dann war die Rede vom Licht am Ende des Tunnels. Der Gesundheitsminister bezeichnet jede Woche als die wichtigste."

Die Reiserückkehrer

Auch die Kanzler-Anmerkungen zu den Reiserückkehrern stoßen Wiederkehr sauer auf: "Es gibt ein Muster: Wenn es gut läuft, ist man der Regierung zu Dank verpflichtet. Wenn es schlecht läuft, ist immer jemand anderer schuld."

An Schramböck gerichtet, sagt er: "Sie haben vorher gesagt, dass die Opposition schuld war. Oder wie der Bundeskanzler, der Mitbürgern vom Balkan die Schuld gibt, dass die Infektionszahlen so hoch sind. Das hat mich als Integrationsstadtrat natürlich sehr beschäftigt."

Der Grüne Rauch ist weder in seinem Land noch im Bund Oppositionspolitiker. Trotzdem sagt er: "Ich bin für weniger Pressekonferenzen. Dafür aber präzise und in einer Tonlage, wo niemand beleidigt wird und die Menschen es verstehen. Es hat in jüngster Vergangenheit das Beispiel des Bundeskanzlers gegeben, das mich erschrocken hat. Die Meldung, dass das Virus vom Balkan importiert wurde, mit der subkutanen Botschaft, dass die Ausländer es importiert haben. Damit stößt man Menschen vor den Kopf. Das ist brachiale Kommunikation. Menschen erwarten sich von der Politik Ehrlichkeit, Offenheit, und dass sie sich hinstellen und sagen, dass sie es nicht genau wissen, falls es so ist."

Die Wirtschaftsministerin bleibt strikt auf Kanzlerlinie: "Man darf auch die Wahrheit sagen. Die Fakten und Zahlen sagen, dass wir nach dem Sommer durch den Rückreiseverkehr einen hohen Anstieg an Infektionszahlen hatten. Das ist auch aus dem Westbalkan und Kroatien gekommen."

"7 Prozent in Wien", sagt Wiederkehr.

"70 Prozent von denen, die mit Infektionen zurückkamen, kamen von dort", sagt Schramböck. "Es darf nicht verboten sein, das zu sagen. Das basiert auf Daten."

"Ideenspender" Filzmaier

Zum Glück ist Peter Filzmaier da. "Ich bin kein Hobby-Virologe", sagt er, "als Sozialwissenschaftler kann ich aber zählen und rechnen".

Er meint, die Sache mit den Reiserückkehrern hätte man auch "differenziert" sehen können, nämlich so: "Dass ich es richtig und logisch halte für Reiserückkehrer Beschränkungen zu setzen, weil es da Infektionen gegeben hat. Aber ich kann weglassen, ob diese österreichische Staatsbürger waren oder nicht, ob diese Migrationshintergrund haben oder nicht. Denn es ist vollkommen egal, ob das in Österreich geborene Urlaubsreisende in Kroatien waren oder nichtösterreichische Staatsbürger, die die ihre Heimatländer aus anderen Gründen besucht haben. Das wird meines Wissens auch in den Zahlen nicht erhoben."

Er sieht sich als "Ideenspender" und regt zum Beispiel an, mehr mit Bonussystemen zu arbeiten. Um die Beteiligung an Massentests zu erhöhen, könnte man zum Beispiel jeweils hundert Euro ausloben. "Das kostet vielleicht einige Millionen, aber es ist immer noch viel weniger als das Geld für die Wirtschaftshilfe."

Der Verfasser dieser Zeilen erlaubt sich, die Idee zu spenden, Peter Filzmaier als konstanten "Ideenspender" ins "Im Zentrum"-Studio zu setzen.

Außerdem möge vor jeder Diskussion folgender Satz von Frau Blanik eingespielt werden: "Wenn man sich dieses parteipolitische Hickhack anhört, dann versteht man, warum die Menschen resignieren."

Schramböck sagt noch: "Wir wollen aber verhindern, dass Reiserückkehrer das Infektionsgeschehen wieder antreiben."

Reiterer sagt noch: "Ich danke meinen Gästen. Wir hätten gerne mehr Zeit gehabt."