Kultur/Medien

Ein emotionaler Grenzgang für Schauspielerin Patricia Aulitzky

Schauspielerin Patricia Aulitzky klingt erschöpft. "Ich brauch' unbedingt eine Pause. Ein, zwei Tage ohne Grausamkeiten, Tod, Gaskammern - aber dann schaltet man die Nachrichten ein …“ Sie bricht ab.

„Warum das? Wir sind doch alle Menschen.“

Aulitzky ist an ihre Grenzen gestoßen. Diese auszuloten, ist Teil ihres Berufs, "und etwas, das ich so sehr liebe", sagt sie einige Minuten später.

Opfer- und Tätersprache

Aktuell arbeitet die 44-Jährige an Heimrad Bäckers "nachschrift". Seine "konkrete Poesie" ist Grundlage für eine performative Sprachoper, die am 7. November am Theater Nestroyhof Hamakom in Wien Premiere hat. Aulitzky wird da nur mit Performance-Pianistin Clara Frühstück und einem Bösendorfer auf der Bühne stehen.

In "nachschrift" zitiert Bäcker aus Briefen, Erinnerungen, Listen und Gerichtsprotokollen aus der Nazi-Zeit – Quellenangaben inklusive. Er verzichtet dabei bewusst auf eine "Erzählung" und "Figuren" und ist dabei schmerzhaft klar und deutlich.  

"Dies ist mein letzter Brief, und ich lasse dich wissen, daß ich am 1. September um sechs Uhr erschossen worden bin."
"Auch in den Fällen, in denen Juden ohne Befehl (Anlage 13, 14 und 15) oder befehlswidrig (Anlage 8 und 9) getötet wurden, konnten unlautere Motive nicht festgestellt werden."

Bäcker sagte darüber: "Es genügt, die Sprache der Täter und der Opfer zu zitieren. Es genügt, bei der Sprache zu bleiben, die in den Dokumenten aufbewahrt ist.“  

Und Aulitzky sagt: "Es ist kaum auszuhalten, wie man damals versucht hat, Leid, Tod und Folter in Bürokratie zu packen. Und dafür hat man Worte erfunden wie ,Ausrottungserleichterungen‘ oder ,Sonderreisezug‘. Und manche von ihnen sind heute als Chiffren erneut präsent. Es schockierend, was wieder salonfähig geworden ist.“

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Missbrauch im Sport

"nachschrift“ ist die erneute Zusammenarbeit Aulitzkys mit Bernd Liepold-Mosser, im Frühjahr ihr Regisseur beim „Talisman“ am Salzburger Landestheater. "Er hat mich sozusagen mitgenommen in diese Produktion, weil Musikalität wieder eine wichtige Rolle spielt.“ 

Gleichzeitig war Salzburg ein schrill-buntes wie erfolgreiches Zwischenspiel nach einem Dreh, der es emotional ebenfalls in sich hatte: "Wir haben einen Deal“ (Freitag, 20.15, ORF2/Montag, 20.15, ZDF).

Darin wird Unternehmensberater Frank (Felix Klare) durch die Rückkehr an seinen Heimatort wieder mit jenem Fußballtrainer konfrontiert, der ihn als Kind missbraucht hat. Frank hat sich nie jemanden anvertraut. Seine Selbstsicht - "Ich bin kein Opfer" – gerät ins Wanken. Panikattacken versucht er mit Medikamenten in den Griff zu bekommen. Langsam geht seine Firma den Bach runter, auch seine Beziehung zu Frau Sabine (Aulitzky) steht an der Kippe, bis sie ihn zur Rede stellt. Unterstützt von ihr ringt sich Frank zur Anzeige gegen seinen Peiniger (Peter Lohmeyer) durch. Das Dorf ist erschüttert, niemand glaubt ihm …

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Kein Modethema

"Wir haben einen Deal" war vor der TV-Ausstrahlung schon auf Festivals zu sehen. Das Besondere für Aulitzky waren nicht die Preise und Auszeichnungen dort. "Es war für mich sehr ergreifend, dass, so wie etwa in München, nach jeder Vorstellung zumindest einer oder zwei zu mir gekommen sind, die sichtbar innerlich gebebt haben und gesagt haben:  Das ist meine Geschichte, das ist meine Geschichte."

Bei einem Publikumsgespräch sei auch die Frage aufgetaucht, ob Missbrauch im Sport nicht ein "Modethema" sei – "ist es ganz sicher nicht", sagt Aulitzky. "Dass es nun stärker präsent ist, hat damit zu tun, dass Missbrauch insgesamt inzwischen ein bisschen weniger ein Tabu-Thema ist. Und das zu unterstützen, ist ein Anliegen dieses Films."

Bilder im Kopf

Der Film geht sehr sorgsam vor. Was an Abscheulichkeiten passiert ist, ist nicht zu sehen, auch nicht angedeutet. Die Vorstellung dessen entsteht durch das Spiel. "Regisseurin Felicitas Korn, mein Film-Mann Felix Klare und ich, wir haben sehr viel darüber gesprochen und was das mit einer Beziehung macht. Es ging darum, das Unaussprechliche mitzuspielen, die unklaren Momente, wenn man den anderen berühren will, aber nicht weiß wie oder wenn man versucht, etwas zu sagen, aber es kommt nur ein Halbsatz raus. Dass das so zugelassen wurde, das empfand ich als großes Geschenk."

In einer Sequenz findet Sabine Missbrauchsfotos. Das Entsetzen ist da Aulitzky – tatsächlich Mutter eines Sohnes, der selbst gern Fußball spielt – ins Gesicht geschrieben. "Da musste ich substituieren. Da habe ich gemerkt, ich kann mir das jetzt nicht mit meinem Kind vorstellen. Da bin ich an eine Grenze gestoßen." Und es hat was mit ihr gemacht. "Ich habe das Thema gegenüber meinem Sohn kindgerecht angesprochen und auch im Verein. Nur das Ansprechen schärft die Aufmerksamkeit."

Keine Schubladen

Großes Publikumsinteresse ist vorprogrammiert, wenn Aulitzky in ihrem zweiten Tiroler Landkrimi zu sehen sein wird. "Der Tote in der Schlucht" mit ihr als sperrige Kommissarin Lisa Kuen soll nun 2024 in ORF1 ausgestrahlt werden. Zudem hat sie noch ein Kino-Projekt am Laufen. Sehr viel Unterschiedliches also. Sie meint dazu: "Ich will in keine Schublade passen. Ob Theater, Musik oder Performance, ob Film oder Fernsehen, mir macht dieses genreübergreifende Arbeiten großen Spaß. Ich will für mich Grenzen auflösen und überschreiten."