Kultur

Medien in Ungarn: „Kämpfen bis zum letzten Atemzug“

„Es ist natürlich nicht so, dass schwarze Autos vor dem Haus auf einen warten, wenn man etwas geschrieben hat, was der Regierung nicht gefällt. Aber es wird mit allen Mitteln dagegen angekämpft, dass frei und objektiv berichtet werden kann.“

So beschreibt Péter Pető von der Internetplattform 24.hu die Situation der Journalisten in Ungarn. Pető war früher stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung Népszabadság, die 2016 unter ominösen Umständen vom damaligen Eigentümer, dem österreichischen Investor Heinrich Pecina, eingestellt wurde. Jetzt steht mit Magyar Nemzet die nächste große Zeitung vor dem Aus – wenn auch unter anderen Vorzeichen. „Wenn mir jemand gesagt hätte, dass innerhalb so kurzer Zeit zwei Pfeiler der ungarischen Presse eingestellt werden, hätte ich es nicht geglaubt“, sagt Pető im Gespräch mit dem KURIER.

Schluss nach 80 Jahren

Erst am Dienstag hatte der Oligarch Lajos Simicska verkündet, die in seinem Besitz befindlichen Medien nicht weiterführen zu wollen: Noch am selben Tag verstummte das Lánchíd Rádió. Am Mittwoch erschien nach 80 Jahren die vorerst letzte reguläre Ausgabe von Magyar Nemzet, auch der dazugehörende Online-Auftritt mno.hu wurde eingestellt.

Nach dem überragenden wie überraschenden Wahlerfolg von Viktor Orbáns Fidesz am vergangenen Sonntag war für viele abzusehen, dass es bei Magyar Nemzet Veränderungen geben würde. Schließlich hatte Simicska – der seit einem Streit mit Orbán im Jahr 2015 die rechte Partei Jobbik unterstützt – beträchtliche Summen in die Zeitung gepumpt. Vor allem in den letzten Wochen hatte man alles daran gesetzt, Skandale aus dem Umfeld des Erzfeindes Orbán aufzudecken und so dessen Wiederwahl zu verhindern. Ohne Erfolg.

„Nach dem Wahlergebnis am Sonntag habe ich schon vermutet, dass die Printversion eingestellt werden könnte, bin aber davon ausgegangen, dass zumindest der Online-Auftritt bestehen bleibt“, erzählt Bence Földi, Redakteur von Magyar Nemzet, dem KURIER. „Dass beides eingestellt wird, und zwar so schnell, hat mich überrascht.“ Verhandlungen über einen möglichen Verkauf von Magyar Nemzet sind derzeit am Laufen, ob und in welcher Form die Zeitung weitergeführt werden kann, ist unklar. Für die rund 150 Mitarbeiter von Magyar Nemzet heißt es nun abwarten.

Am Samstag hielten sie vor der großen Anti-Regierungs-Demo eine Gedenkfeier in der Budapester Innenstadt ab, wo eine Sonderausgabe der Zeitung verteilt wurde. Für den Druck der 20.000 Exemplare hatte der stellvertretende Chefredakteur György Zsombor noch am Freitag via Facebook einen Spendenaufruf gestartet – und verkündet: „Wir kämpfen bis zum letzten Atemzug.“

Magyar Nemzet, das Portal 24.hu und andere regierungskritische Medien hatten im Wahlkampf über einige dubiose Vorfälle aus dem Umfeld Orbáns berichtet: etwa über die teuren Jagdausflüge von Orbáns Vize-Ministerpräsident Zsolt Semjén – finanziert von einem Geschäftsmann, dessen Unternehmen zahlreiche staatliche Aufträge erhalten hatte. Oder über die Firma Elios, bis vor wenigen Jahren im Besitz von Orbáns Schwiegersohn István Tiborcz, die durch manipulierte Verfahren EU-Ausschreibungen gewonnen haben soll.

Die Liste geht noch weiter. Dass all dies den Großteil der Wähler offenbar unbeeindruckt ließ, erklärt Medienforscherin Éva Bognár von der Budapester Central European University im Gespräch mit dem KURIER unter anderem damit, dass kritische Berichterstattung nur gewisse Personengruppen erreiche. Im öffentlichen Fernsehen sowie in der regierungsnahen Presse würden solche Themen gar nicht vorkommen, die Opposition bekomme kaum Platz.

Systematisch wurden Medien von Orbáns Vertrauten aufgekauft. Die wenigen Verbleibenden, die kritisch berichten, haben keinen leichten Stand: Der Staat und regierungsnahe Firmen schalten ihre Anzeigen andernorts, wichtige Einnahmen bleiben dadurch aus.

Aber auch der journalistische Alltag werde schwieriger, wie András Dezső von Index.hu, dem größten kritischen Online-Portal, erzählt: Orbáns Wahlkampfauftritte seien etwa vor Medien geheim gehalten worden. Bei Pressekonferenzen bekomme der Journalist von Fidesz-Politkern prinzipiell keine Antwort: „Wenn ich sage, von welchem Medium ich komme, heißt es: Index geben wir keine Stellungnahme.“ Seit elf Jahren wartet man auf ein Interview mit Orbán.

Auch die Kollegen von Magyar-Nemzet Földi haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen gehabt: „Wenn ein Politiker schon früher ein gutes Verhältnis zu einem unserer Journalisten hatte, gab es manchmal eine Stellungnahme. Aber das war die Ausnahme.“ Viele wollen laut Földi nicht mit der Presse sprechen, weil sie selbst Konsequenzen fürchten.