Künstler Viktor Rogy: Der Eremit von gegenüber
„Aan KURIER und aa Bier.“
Seltsamerweise ist mir noch gut in Erinnerung, wie der dickliche Mann, der außer einem schlohweißen Hitlerbärtchen keine Haare auf dem Kopf trug, bei unserem Greißler, dem Leutschacher, an die Budel trat und diese Worte sprach. Ich muss damals vielleicht zehn Jahre alt gewesen sein.
Dass mich diese kurze Episode geprägt haben könnte – von der Wahl des Arbeitgebers und des Lieblingsgetränks bis zur Schwäche für Wortspielchen – scheint etwas weit hergeholt. Fest steht aber, dass Viktor Rogy, so der Name des Glatzkopfs, der erste Künstler war, dem ich bewusst begegnet bin.
Was dieser Rogy genau machte, war mir freilich genauso wenig klar wie den meisten Erwachsenen in der Nachbarschaft, denen der Exzentriker in erster Linie hoch suspekt war. Und auch nach der Lektüre der über 500 Seiten starken Biographie „Jeden Tag Cowboy“, die der Publizist Wolfgang Koch vor Kurzem veröffentlichte, bleibt Rogy schwer fassbar: Definierte sich der Künstler, der 2004 im 80. Lebensjahr verstarb, doch in vielem über die Ablehnung und Verweigerung, war mehr Bilderstürmer als Bildermacher.
Rogys bildnerisches Werk blieb dazu untrennbar mit seinem extremen Leben verknüpft, sodass das Materielle allein mitunter nicht viel sagt – wenngleich der gelernte Maurer und Stuckateur, der sich lange Zeit als Arbeiter auf Kärntner Schlössern verdingte, sein Handwerk beherrschte und auch hochhielt.
Alles und nichts
Rogys Werk manifestierte sich u. a. in Performances, Gedichten, Künstlerbüchern, Skulpturen, Architektur-Interventionen, Zeichnungen auf Wirtshausblöcken und in „Ready Mades“, zu Kunst erklärten Alltagsobjekten. Wie Koch überzeugend argumentiert, hätte nicht alles, aber doch vieles davon international Beachtung verdient. Der Biograf vergleicht Rogys Außenseiter-Position mit dem ebenfalls spät entdeckten, aber heute kanonisierten Slowaken Július Koller, dem italienischen Provokateur Maurizio Cattelan oder dem deutschen Allesverwerter Hans-Peter Feldmann. Auch der heute in Museumssammlungen angekommene österreichische Kunst-Anarcho Padhi Frieberger erscheint als Geistesverwandter.
Vernebelter Blick
Anlässlich der Überblicksschau „The Beginning“ – wo mit Reimo Wukounig immerhin ein anderer unterschätzter Kärntner zu Ehren gelangt – merkte Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder zu Recht an, dass der Blick auf heimische Künstler oft durch Wirtshausgeschichten und eine daraus resultierende Scheinvertrautheit verstellt war und ist. Auf Rogy trifft dies zweifellos zu: Wenngleich er sich mit Rückgriff auf den deutschen Mystiker Joseph Anton Schneiderfranken alias Bô Yin Râ (1876 – 1943) und auf Zen-Lehren eine Philosophie der Reinheit zurechtgelegt hatte, war er auch ein Trinker und geriet in so manche Schlägereien, wie Koch zu berichten weiß.
Beim Wirten
Das Gasthaus Vrabac, in dem sich einige solcher Episoden zugetragen haben müssen, liegt an der Rückseite jenes Häuserblocks, in dem sich auch mein Elternhaus befindet. Für uns Kinder war das Lokal stets tabu. Rogy selbst wohnte im Block gegenüber, im Hofgebäude eines Hauses, das, wie ich erst spät erfuhr, der Malerin Maria Lassnig gehörte: Sie hatte es von ihrer Mutter geerbt und, während sie in New York weilte, untervermietet.
Rogy lebte im Hinterhaus wie ein Mönch, ohne fließendes Wasser und mit Plumpsklo. Dass hier, am Klagenfurter Stadtrand, ein Hotspot der Avantgarde gewesen sein sollte, scheint mir kurios – dennoch bezeichnet Koch die Kärntner Hauptstadt an einer Stelle als „geheimes Arrondissement von Paris“.
Tatsächlich bestanden mehr Verbindungen zwischen Kreuzbergl und Montmartre, als wir Spätgeborene ahnen konnten – insbesondere die Galerie Hildebrand, in der auch Rogy früh eine Plattform fand, war gut vernetzt, minimalistische Tendenzen fanden durch sie einen Ankerpunkt in der Provinz. Besonders der Künstler Hans Bischoffshausen (1927 – 1987) nutzte die Galerie als Startrampe nach Paris, wo er einige Jahre lang reüssierte.
Rogy, lange mit Bischoffshausen befreundet, war nur kurz in Frankreich und verbrachte den größten Teil seines Lebens in Kärnten – und schuf hier ein eigenständiges Kunstuniversum, wie Koch befindet: „Er hat seinen Minimalismus ohne Kontakte, auf eigenem Weg erarbeitet, die Reduktion bis zum Verschwinden von Kunst“, sagt der einstige „Falter“-Kulturredakteur im Gespräch. In seinem Buch, das mehr sein will als eine konventionelle Biografie, zieht der Autor des Öfteren Parallelen zu internationalen Entwicklungen, von denen Rogy vielleicht wusste, vielleicht auch nicht: „Mich interessiert, wer unabhängig voneinander zur selben Position gelangt ist“, so Koch.
Lokal-Matador
In Klagenfurt war Rogy jedenfalls für eine Weile vielleicht nicht weltberühmt, aber doch stadtbekannt. Das lag nicht zuletzt an dem Lokal „Gourmet zur roten Lasche zum Gepäckträger mit Zündschnur“, das der Künstler ab 1982 „enttschatschelte“, also vom Zierrat befreite und umgestaltete, wie auch in einem Manifest spezifisch Kärntner Ausprägung, an das ich mich vage erinnere, zu lesen war.
Meine Mutter ging aufgrund der relativ avancierten vegetarischen Speisekarte mit mir gern in die „Lasche“ essen. Ich bekam dabei mehr angewandten Rogyismus mit, als mir lange Zeit bewusst war: Neben der spartanischen Reduktion der Einrichtung sah man in dem Restaurant oft Künstlerpostkarten, schwer verständliche Manifeste, eine symbolische „Sprengung“ des gegenüberliegenden Hochhauses (es wurde auf einem Plakat energisch durchgestrichen, Rogy wandte diese Praxis auch noch auf andere Häuser an.) 1990 affichierte Rogy dann noch den Spruch „Hau ab“ über der Eingangstür des Lokals – ein Akt Handkeesker Publikumsbeschimpfung, wie ich ihn in seiner Radikalität zuvor nicht gekannt hatte.
Geh weg!
Doch es gab auch ein erotisches Palmersplakat, von dem eine phallische Form abgerissen worden war, und so manchen Häuslschmäh – etwa, wenn Rogy Landespolitiker pauschal als „rote Ärsche“ beschimpfte. Autor Koch äußert sich im Buch ambivalent zu Rogys Persönlichkeit, spart nicht mit unappetitlichen Details und verhehlt das machistische Frauenbild des Künstlers nicht. „Ich habe nie zu den Leuten gehört, die den Rogy angehimmelt haben“, setzt er im Gespräch nach. „Aber trotzdem meine ich, dass einiges an seiner Arbeit wertvoll ist.“
Ob und wie Werk und Leben eines Künstlers voneinander trennen ist, wurde zuletzt von Picasso abwärts höchst intensiv diskutiert – der politisch inkorrekte Rogy, der die beiden Sphären gezielt vermischte, hätte es in diesem Diskurs gewiss nicht leicht.
Unbekannt. Meister?
Wie in Balzacs Geschichte „Das unbekannte Meisterwerk“ stellt sich auch die Frage, wie viel sich von jenem Gedankengebäude, das ein Kunstschaffender entwickelt, in greifbaren Werken manifestieren muss. In der Balzac-Geschichte ist das über Jahrzehnte entwickelte Meisterwerk am Ende nur ein Liniengewirr; auch von Rogy bleibt nicht enorm viel, wenngleich der Künstler u. a. mit einem Kirchenfenster in Villach und einigen öffentlichen Skulpturen (darunter eine an einem Highway in Vermont/USA) durchaus Dauerhaftes produziert hat.
Der materielle Nachlass Rogys lagert indes irgendwo in Klagenfurt und solle dringend gesichert und aufgearbeitet werden, findet Biograf Koch. Denn auch wenn der Künstler selbst die Reduktion in seiner Kunst stets vorangetrieben hatte – ein völliges Verschwinden in der Vergessenheit hätte der Glatzkopf, der an einem der unwahrscheinlichsten Orte Österreichs eine sehr spezielle Avantgarde entfachte, gewiss nicht verdient.