Friedhofskirche: Eine echter Hingucker am Zentralfriedhof
Von Marco Weise
Zufällig kommt hier keiner vorbei. Entweder man besucht einen Verstorbenen, muss zu einem Begräbnis oder macht einen Spaziergang durch den „Park“. „Park“, ja, so nennt Fremdenführerin Silvia Schwammschneider den Zentralfriedhof, der sich an diesem Dezembertag vor unseren kalten Füßen erstreckt.
Gemeinsam stehen und frieren wir auf den Stufen vor dem Eingang der Kirche, der einen guten Blick auf das weitläufige Gelände gewährt: Auf zweieinhalb Quadratkilometer Fläche verteilen sich derzeit rund 330.000 Gräber. Es gibt 80 Kilometer Wege, eine Buslinie mit 18 Stationen, knapp 16.000 Bäume und zahlreiche Wildtiere.
Der Friedhof ist mit 250 Hektar hinter Hamburg Ohlsdorf der zweitgrößte Europas und die „Friedhofskirche zum heiligen Karl Borromäus“ ist sein Zentrum. Der offizielle Name sei im Volksmund aber kaum verbreitet, sagt Schwammschneider. Viele sagen nach wie vor „Lueger-Kirche“, weil der konservierte Leichnam des ehemaligen Wiener Bürgermeisters hier liegt (dazu später mehr).
Verschmelzung
Vom Eingang beim Haupttor (Tor 2) aus betrachtet, baut sich die Kirche in der Ferne auf: mächtig, erhaben. Der Blick wird dabei auf die Kuppel gelenkt, sie zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. So war das auch der Plan des damals noch sehr jungen Architekten Max Hegele, der den Wettbewerb 1899 für sich entscheiden konnte. In der Jury saß auch Otto Wagner, der zu diesem Zeitpunkt noch keinen Entwurf für die etwas später von ihm geplante Kirche am Steinhof hatte. Man könnte jetzt also denken, Otto Wagner habe bei Hegele abgeschaut, sagt Schwammschneider. „Aber genau weiß das keiner.“
Dieser monumentale Bau ist ein Gesamtkunstwerk, der sich mit Vergänglichkeit, Tod und Leben vor dem Hintergrund von Zeit und Ewigkeit auseinandersetzt. Bis ins kleinste Detail soll dabei alles durch Kunst beeinflusst und durchwirkt sein. Hegele hat die damals noch junge Kunstepoche Jugendstil mit älteren verschmolzen. Daher erinnert die Kirche auch an altchristliche Häuser wie den Petersdom im Vatikan, der Wiener Karlskirche oder der Hagia Sophia in Istanbul.
Um ja nicht von der Kuppel abzulenken, hat Hegele die zwei Glockentürme nach hinten versetzt. Damit das Ganze imposanter wirkt, wurde die Kirche auf einem Sockel errichtet. Darunter befindet sich die Unterkirche samt Gruft.
Gold und Glas
Die Mauern wurden nach dem Zweiten Weltkrieg nur provisorisch repariert. Der Grund für den bewusst in Kauf genommen Verfall war ein politischer: Es ist die Verherrlichung der christlich-sozialen Partei – sie ist omnipräsent. Dafür genügt ein Blick auf die große Wandmalerei oberhalb des Altars. Dargestellt wird die Wanderung der Seele: Man sieht einen Pilger auf seiner Reise in den Himmel – begleitet von Engel.
Und Karl Lueger. Der Gründer der Christlichsozialen Partei Österreichs (sie gilt als Vorläufer der ÖVP) wurde hier – im Sterbehemd kniend – verewigt. Für die nach 1945 folgenden SPÖ-Bürgermeister war die Kirche also jahrelang nicht von großem Interesse, wurde nur notdürftig saniert. Bis sie von 1995 bis 2000 auf Initiative von Rektor Karl Wagner mit Hilfe von Stadtrat Johann Hatzl (SPÖ) generalsaniert wurde.
Die Innenkuppel, die nach dem Zweiten Weltkrieg nur notdürftig restauriert worden war, wurde originalgetreu wiederhergestellt. Zu sehen ist ein Sternenhimmel mit 22.000 Goldglasfliesen. „Ich habe gelesen, dass es 999 Sterne sind. Wenn man einmal nichts Besseres zu tun hat, kann man das ja gerne mal nachzählen“, sagt Schwammschneider und schmunzelt.
Gruft
Architekt Max Hegele hat damals mit rund 20 Künstlern zusammengearbeitet. Einer davon war Leopold Forstner – von ihm stammen die Glasfenster und Mosaike. Auffällig ist auch, dass es in der Kirche keinen opulenten Schmuck, keine unnötigen Verzierungen gibt, dafür viel Funktionelles, viel Glas, Messing, Gold. Alles ist edel, aber einfach. Schön, aber praktisch: „Etwas Unpraktisches kann nicht schön sein.“ (Otto Wagner). Überall kleben handbemalte Fliesen und ständig begegnet man dem Wiener Wappen – gekrönt mit der Mauerkrone. Ein Hinweis auf den Besitzer dieser Kirche: Es ist die Stadt Wien und nicht die Erzdiözese.
Mit dem Lift geht es in die Unterkirche. Dort befindet sich die Gruft von Karl Lueger. Vom „schönen Karl“ war zuletzt wieder viel die Rede. Die Debatten kreisen dabei meist um die Pole Antisemit und innovativer Kommunalpolitiker. Die einen sagen, er war ein „antisemitischer Bürgermeister, von dem Hitler lernte“. Andere schätzen ihn als Modernisierer der Stadt Wien (Wasser, Strom, Gas). Daher ist die Diskussion über das Lueger-Denkmal an der Ringstraße auch eine anhaltende. Eine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung ist nicht in Sicht.
Hier, vor Luegers letzter Ruhestätte, ist es ruhig. Es gibt keine Schmierereien, keinen Protest. „Es wissen aber auch nicht viele, dass er hier begraben liegt“, sagt Schwammschneider und führt uns nach draußen. Dort lenkt sie unseren Blick auf die Kirchturmuhr, die auf die Vergänglichkeit der Zeit hinweist. Tempus fugit: Die Zeit vergeht.
Silvia Schwammschneider: Aus Leidenschaft unterwegs
Der Zufall wollte es, dass Silvia Schwammschneider (58) Fremdenführerin wurde. Die gebürtige Wienerin wollte eigentlich nur etwas Geld dazu verdienen und führte kleinere Gruppen durch die Oper und das Burgtheater. Nun ist sie mittlerweile seit mehr als 30 Jahren als Fremdenführerin tätig. Sie hat sich über die Jahre auf allgemeine Führungen fokussiert und sich auf bestimmte Touristengruppen spezialisiert. Meistens zieht sie mit Franzosen, Spaniern, Italienern und Portugiesen durch die Straßen. Seit März ist coronabedingt Schluss. „Mir geht der Austausch mit Menschen sehr ab. Und das tägliche Unterwegssein. Als Fremdenführerin ist man dauernd auf den Beinen.“