Die Kamera und der Blick von alten weißen Männern
Von Anne Fliegel
Das Kleid wirkt unpassend, sie sieht tief traurig aus und man hat das Gefühl, die sonst so exaltierte Marilyn Monroe in den Arm nehmen zu wollen.
Mit diesem Foto von Richard Avedon beginnt die Ausstellung „The Face. Avedon bis Newton“ in der Albertina Modern, die sich den vielen Facetten der Porträtfotografie widmet. Wohl eher unbewusst macht sie auch auf ein Frauenproblem in der Branche aufmerksam und thematisiert den männlichen Blick in der Fotokunst.
Von Kopf bis Fuß
Über die Definition eines Porträts kann gleich im ersten Raum diskutiert werden. Denn Avedon machte nicht nur große Aufnahmen von Gesichtern, die Unmittelbarkeit und Intimität vermitteln, sondern zeigte durch den Fuß des Balletttänzers Nurejew eindrücklich, wie auch schon einzelne Körperteile einen Menschen repräsentieren können.
Zwar dominieren in der Schau eindeutig schwarz-weiße Fotos von Berühmtheiten – es sind auch noch eine ganze Reihe ähnlicher Aufnahmen von Franz Hubmann, Nancy Lee Katz und Gottfried Helnwein zu sehen. Doch es wird auch noch ein anderer Zugang gezeigt. Bernhard Fuchs, Leo Kandl und Paul Kranzler geben Einblicke in ebensrealitäten und soziale Milieus der österreichischen Bevölkerung und lassen Erinnerungen an Filme mit Düringer, Dorfer und Hader wach werden.
Besonders beeindruckend ist eine Serie von Lucia Papčová – eine der zwei Künstlerinnen in der Ausstellung –, die ihre Großeltern ablichtete. Mehrere Fotos, in einer vorgegebenen Anordnung gehängt, geben berührende Einblicke in das Leben zweier älterer Menschen. Durch die unterschiedlich großen Aufnahmen entsteht ein Spiel von Nähe und Distanz, was scheinbar auch das Verhältnis der beiden zueinander widerspiegelt.
Im letzten Raum hängt ein Fünffach-Selbstporträt des 2021 verstorbenen Chuck Close, dem zu Lebzeiten sexuelle Belästigungen vorgeworfen wurden. Es wirkt etwas uneinfühlsam, dass direkt gegenüber die playboyartigen Fotos von Helmut Newton Anlass geben, um über Empowerment und Sexismus zu diskutieren.
Die Albertina Modern zeigt, dass ein Porträt ganz unterschiedlich ausgelegt werden kann. Da dieser Aspekt jedoch hauptsächlich anhand von männlichen Künstlern ausgeführt wird und eine Unmenge sehr ähnlicher Fotos von Berühmtheiten den Eindruck dominieren, wird die Schau dem Thema nicht ganz gerecht.
„The Face“ ist bis zum 6. November im Souterrain der Albertina Modern am Karlsplatz zu sehen. Gezeigt werden Bilder aus der
Albertina-Sammlung, ein Schwerpunkt liegt auf großen Formaten.
In den Haupträumen der Albertina Modern ist noch bis 4. September die Schau „Ai Weiwei – In Search of Humanity“ zu sehen. Im Herbst – ab dem 16. 10. – steht der US-amerikanische Abstrakte Expressionismus im Fokus
Fans klassischer Fotografie seien auch noch auf die Schau „Horst/Huene. In Style“ im Wiener Westlicht verwiesen. Die Ausstellung zweier Altmeister der Mode- und Porträtaufnahmen läuft nur noch bis 7. 8.