Kultur/Buch

Nachts unter dem Hasenfell

Sie war „verlässlich wie ein Hofhund, beständig wie ein Möbelstück“: Dienstmädchen Rose lebte 25 Jahre an der Seite von Edmond und Jules Goncourt und blieb doch eine Unbekannte. Das Brüderpaar, Namensgeber des Literaturpreises, lästerte in später publizierten Tagebüchern über ganz Paris. Hauptberuflich Erben, verkehrten die Schriftsteller in Prinzessin Bonapartes Salon, wo ihnen Gustave Flaubert Freund und Rivale zugleich war. Feine Beobachter des Gesellschaftslebens, waren die Goncourts jedoch blind gegenüber jener Person, die ihnen am nächsten stand. Haushälterin Rose führte ein „Doppelleben“. So hat der Schweizer Autor Alain Sulzer den Roman genannt, in dem er die seltsame Wohngemeinschaft der Brüder und deren Dienstmädchen porträtiert. Basierend auf der Erzählung „Germinie Lacerteux“, die die Goncourts 1865 schrieben, als sie erfuhren, wer Rose wirklich war: eine verzweifelte Alkoholikerin, die zweimal ungewollt schwanger war und ihre Ersparnisse einem Tunichtgut hinterherwarf.

Rose war bereits bei der Mutter Haushälterin gewesen. Als diese starb, musste Edmond, 26, versprechen, sich um den 17-jährigen Bruder zu kümmern. Das tat er zeit seines oder besser Jules Lebens, der mit 39 an den Folgen einer Syphilis-Infektion starb, die er sich mit 19 bei einer Prostituierten geholt hatte. Die Brüder teilten alles. Schreibtisch, Vorliebe für Froschschenkel, Frauen. Das Wesentliche übersah man. Jules Krankheit und die Tatsache, dass Rose schon das Frühstück betrunken servierte. Lieber sprach man über den entsetzlichen Lärm aus der gegenüberliegenden Fabrik des Instrumentenbauers Alphonse Sax. Jules war überzeugt, dass sich sein geliebtes Seidenäffchen aus Verzweiflung darüber aus dem Fenster gestürzt hatte.

Verachtet man die Brüder angesichts ihrer Ignoranz? Nein, sie taten, was sie konnten, lässt Sulzer in diesem ungewöhnlichen literaturhistorischen Roman wissen. Es menschelt, aber man bleibt stets diskret.

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Glaube und Verschwörung

Schauplatzwechsel, drei Jahrhunderte zuvor, wo man mit den Worten „wie schön, dich lebend zu sehen“, grüßt. Leben, Überleben, ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist die Zeit der Hugenottenkriege. Falscher Glaube und Verschwörung lauern an jeder Ecke. Michel de Montaigne, Philosoph und Diplomat, wird von Königsmutter Katharina von Medici nach Paris bestellt, um bei der Suche nach einem neuen Regenten zu helfen. Ihr Sohn Henri sitzt nur mehr heulend daheim, sie führt die Amtsgeschäfte. Jetzt soll Menschenkenner Montaigne ausgerechnet den protestantischen König von Navarra überreden, als Thronfolger bereitzustehen. Sachbuchautor Nils Minkmar erzählt in seinem ersten Roman, wie sich der kränkelnde Montaigne mit Gattin Françoise nach Paris begibt. Ungern, denn das gemütliche Leben samt Katze und Kartenspiel bleibt zurück. Ebenso der Turm im Schloss, wo er sich verkriecht, um seine Essais zu verfassen: Gedanken über Leben und Tod, komische Tiere, Kindererziehung und Scherze über Hinrichtungen. (Der Delinquent zum Henker: „Bitte nicht den Hals berühren, da bin ich kitzelig.“)

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Doch um Montaignes berühmte Schriften geht es hier nur am Rande. Autor Minkmar beschreibt die blutige Geschichte Frankreichs zur Zeit der Religionskriege auf sehr persönliche Art: Der große Philosoph Montaigne hatte auch recht banale Probleme. Nierensteine. Die wusste er nur schwer zu lindern. Nachts band er sich ein Hasenfell um den Bauch, das half ein bisschen.